Ein Kommentar von Bernhard Loyen.
Montag dieser Woche startete in entsprechenden Bundesländern wieder die Schule. Ein sich schon länger abzeichnender Prozess nähert sich dem Volldesaster. Deutschland leistet sich viel, möchte aber partout weiterhin nicht in die Bildung investieren. Man trocknet die bildungspolitische Zukunft mutwillig aus. Es naht der Bildungsnotstand in einem sehr reichen Land. Traurig und erbärmlich zugleich.
Man fragt sich, ob dieses Drama die amtierende Bundesbildungsministerin beschäftigt. Politiker teilen sich ja neuerdings sehr gern per Twitter mit. Was schreibt denn so Ministerin Anja Karliczek von der CDU zu der Tatsache eines sich anbahnenden Schulkollaps? Zum Thema Bildungsmisere findet man erstmal nichts, ausser die berüchtigten Zukunftspläne. Am 1. August wurde jubilierend getwittert: “Das Bundeskabinett hat heute den Weg frei gemacht für die Finanzierung des Digital Pakts Schule. Damit ist klar: Ab 2019 kann die Digitalisierung der Schulen in Deutschland in großen Schritten vorankommen. Dazu wird ein Fonds ‘Digitale Infrastruktur’ eingerichtet, der als Grundfinanzierung mit 2,4 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt ausgestattet wird.” (1) Es sticht heraus: frei machen, einrichten, ausstatten, vorankommen = Phrasensprache, anstatt handeln und direkte Umsetzung.
Die Zeitung Die Zeit informierte am 20. August: Bildungsnotstand: Lehrerverband sieht größten Pädagogenmangel seit Jahrzehnten. Man müsse schon von einem Bildungsnotstand sprechen. Besonders an Grund- und Förderschulen fehlt laut Lehrerverband Personal, vor allem in Berlin und Sachsen. Später im Text: An Deutschlands Schulen fehlen nach Darstellung des Deutschen Lehrerverbands fast 40.000 Pädagogen…Derzeit sind rund 10.000 Lehrerstellen nicht besetzt. Dazu kommen etwa 30.000 Stellen, die notdürftig mit Nicht-Lehrern, Seiteneinsteigern, Pensionären und Studenten besetzt werden.(2)
Aktuell notwendige Reaktionen & Maßnahmen der Politik auf Länderebene? Berufseinsteiger erhalten größtenteils befristete Verträge(3). In Berlin sind weit über 50% der Neueinstellungen, sogenannte Quereinsteiger(4).
Wo liegen die Wurzeln dieser Problematik? Schauen wir zehn Jahre zurück. Es findet sich der unter Politikern sehr beliebte “Wir müssen”- Satz. Damals lautete er: „Wir müssen die Bildungsrepublik Deutschland werden“. Tja, hat nicht so ganz geklappt. Ausgesprochen hatte ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was hatte sie denn noch so für ehrgeizige Ziele zum Wohle der Bürger: „Wohlstand für alle heißt heute und morgen: Bildung für alle“, sagte die Kanzlerin unmittelbar vor Vorlage des zweiten nationalen Bildungsberichts. Das klingt ambitioniert, aber wie sah dann die Realität bereits 2008 aus?: Während Mitte der 90er Jahre noch 6,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bildung geflossen seien, habe der Staat 2006 nur noch 6,2 Prozent dafür ausgegeben…Die Qualifikation der Schulabgänger sei erschreckend gering. Dann ein aufschlussreicher Hinweis: Auch Migrantenkinder werden dem Bericht zufolge nicht ausreichend gefördert, obgleich das Problem seit Jahren bekannt sei. Abschließend: Ein „ernsthaftes Problem“ stelle zudem der ungedeckte Bedarf an Erziehern und Lehrern dar.(5)
Es lässt sich resümieren, die Regierung, die verantwortliche Politik, hat schon die damaligen Alarmglocken wie üblich ausläuten lassen und entsprechende gesetzliche Maßnahmen schlicht unterlassen. Fahrlässig unterlassen. Inzwischen haben die Investitionen in bundesrepublikanische Grundschulen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukts einen Tiefstand erreicht(6). Unfassbar bei bekannten Ausgaben, z.B. für das Militär.
Die Rechnung zahlt wieder mal die Bevölkerung, trotz immenser Steuerabgaben. Eltern, Lehrer, Pädagogen und vor allem die Kinder. Schüler & Auszubildende. Die verfahrene Situation hat sich durch bekannte Ereignisse seit dem Jahre 2015 nochmals dynamisiert. Nein, dramatisiert.
Solvente Bürger finanzieren die Zukunft ihrer Sprösslinge aus der Portokasse. Privatschulen boomen, für die, die es sich leisten können. Wie verhält sich das „Normalvolk“, der mehrheitliche Rest der Betroffenen? Man kann nicht behaupten, die Medien würden die Tatsachen unterschlagen. Es werden jedoch weiterhin verantwortliche Parteien jedweder Couleur gewählt. Wie nennt man so was? Erfahrungsresistenz? Pragmatische Sippenhaft? Gesamtgesellschaftliche Bequemlichkeit? Desasterlethargie?
Der letzte größere Lehrerstreik erfolgte 2017(7). Er scheint die Politik nicht wirklich beeindruckt zu haben. Von der Politik ist initiativ nichts zu erwarten. Daher: der Druck auf die Politik kann nur über die Bürger, die Betroffenen selbst erfolgen. Eine Verbesserung der Gesamtsituation kann nur durch Beharrlichkeit erreicht werden. Ein Beispiel zeigt der verlinkte Artikel: Lichtenberg Zu viele Schüler, zu wenig Schulen – Eltern gehen auf die Barrikaden(8). Barrikaden, das klingt schon mal gut.
Quellen:
(1) https://twitter.com/anjakarliczek?lang=de
(2) https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2018-08/bildungsnotstand-lehrermangel-schulen-deutscher-lehrerverband
(3) https://www.zeit.de/arbeit/2018-08/lehrerinnen-vertretungslehrer-befristung-vertraege-belastung
(4) https://www.berliner-zeitung.de/berlin/lehrermangel-berlin-streicht-schulstunden-30603560
(5) http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nationaler-bildungsbericht-merkel-ruft-bildungsrepublik-aus-1545858.html
(6) https://www.deutschlandinzahlen.de/no_cache/tab/deutschland/bildung/bildungsausgaben/oeffentliche-bildungsausgaben-in-prozent-des-bip?tx_diztables_pi1%5BsortBy%5D=col_2&tx_diztables_pi1%5BsortDirection%5D=asc&tx_diztables_pi1%5Bstart%5D=0
(7) http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/lehrer-streik-in-mehreren-bundeslaendern-a-1132676.html
(8) https://www.berliner-zeitung.de/berlin/lichtenberg-zu-viele-schueler–zu-wenig-schulen—eltern-gehen-auf-die-barrikaden-30707228
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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