Ein Kommentar von Ernst Wolff.
Wie immer wurde der Ton zwischen den Kontrahenten in den letzten Tagen vor der Wahl lauter und aggressiver. Zwar erschienen sie auf diese Weise weder glaubhafter noch seriöser als zuvor, aber sie erreichten ein Ziel, das ihnen allen nützt: Die uninformierte Mehrheit der Menschen im Land nimmt an, dass sie bei der Wahl tatsächlich eine grundsätzliche Entscheidung über unsere Zukunft trifft.
Bestärkt wird diese Mehrheit in ihrem Gefühl durch eine Kampagne von Politik und Medien, die sich alle vier Jahre mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks wiederholt: Die Aufforderung zur Wahl zu gehen und die Anprangerung von Nicht-Wählern. Es sei unsere „demokratische Pflicht zu wählen“, heißt es, „Nicht wählen geht gar nicht“, „Wer nicht wählt, wählt die Falschen“ oder „Nicht-Wähler unterstützen extreme Parteien“.
Drehen wir die Sache einfach mal um: Wer wählen geht, so müsste man schlussfolgern, unterstützt die Demokratie, wählt die Richtigen und schwächt damit extreme Parteien. Wieso aber kann es dann sein, dass wir in die gegenwärtige Lage geraten sind? Wieso explodiert die soziale Ungleichheit, weshalb wächst die Verschuldung ins Unermessliche, warum drohen der Finanzkollaps und möglicherweise sogar ein Atomkrieg…?
Der Grund ist schnell erklärt: Wir wählen zwar eine Regierung, aber diese Regierung darf nur innerhalb der Grenzen entscheiden, die ihr die Wirtschaft setzt. Und die Wirtschaft wird seit einigen Jahrzehnten vom weitgehend deregulierten und vollkommen außer Kontrolle geratenen Finanzsektor beherrscht. D.h.: Unser Weg in die Zukunft wird von den Interessen einer Minderheit von Ultrareichen bestimmt, die Großbanken, Hedgefonds und andere global agierende Finanzinstitute mit ihren Vermögen beherrschen.
Wieso aber lässt sich die Mehrheit der Menschen über diese im Grunde so simple Wahrheit hinwegtäuschen? Auch dafür gibt es eine einfache Erklärung: Weil die Ultrareichen auch die Medien beherrschen und es mit ihrer Hilfe geschafft haben, uns ihre Interessen als die einer dem Willen der Menschen entrückten Größe namens „die Finanzmärkte“ zu verkaufen.
So wurde uns 2008 weisgemacht, die Banken seien „too big to fail“ und müssten daher unbedingt gerettet werden – nicht etwa zugunsten ihrer ultra-vermögenden Besitzer, sondern zugunsten des reibungslosen Funktionierens „der Finanzmärkte“.
Im Rahmen der Eurokrise wurde uns nicht gesagt, dass die Probleme in Griechenland und Italien außer Kontrolle geraten und mit demokratischen Mitteln nicht mehr zu lösen waren. Stattdessen wurde uns erzählt, dass „Technokraten“ ans Ruder gelassen werden müssten, um „die Finanzmärkte“ in Ordnung zu bringen.
Genauso wurde uns in diesem Wahlkampf verschwiegen, dass auch unsere zukünftige Regierung nur so lange im Amt bleiben wird, wie sie die Interessen des großen Geldes ohne Probleme gegen die Bevölkerung durchsetzen kann. Sobald das nicht mehr der Fall ist, werden auch wir unter die Zwangsverwaltung der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) gestellt werden. Die Begründung wird sein, dass „die Finanzmärkte“ ein solches Vorgehen erfordern.
Wie gut dieser Etikettenschwindel bis heute funktioniert, lässt sich daran erkennen, dass die Mehrheit der Menschen ihn bisher nicht durchschaut. Das wiederum lässt viele kritische Menschen glauben, es sei vergebens, auf eine Änderung der gegenwärtigen Verhältnisse zu hoffen.
Diese Haltung aber übersieht einen sehr wichtigen Prozess, der derzeit weltweit immer klarer zu erkennen ist: Auf Grund der Verschlechterung der Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen, auf Grund der immer stärkeren Bedrohung durch einen Finanzcrash und vor allem auf Grund der rapide zunehmenden Kriegsgefahr wachen immer mehr Menschen auf und beginnen, die herrschenden Verhältnisse infrage zu stellen.
Das hat sich auch in unserem Wahlkampf gezeigt. Die angebliche „Müdigkeit“ der Wahlberechtigten, die geringe Resonanz auf Wahlveranstaltungen und die Teilnahmslosigkeit, die viele dem Wahlkampf entgegen gebracht haben, sind nichts anderes als erste Verweigerungs-Reaktionen bisher unpolitischer Menschen, die mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden sind.
Da sich die sozialen, wirtschaftlichen und militärischen Probleme in der vor uns liegenden geschichtlichen Periode erheblich zuspitzen werden, wird auch diese Unzufriedenheit weiter zunehmen und zu einer immer größeren Offenheit der breiten Masse gegenüber politischen Alternativen führen.
Wer diesen Prozess erkennt, der wird es nicht dabei belassen, den etablierten Politikern in dieser Wahl seine Stimme zu verweigern. Er oder sie wird erkennen, dass das nur ein erster Schritt sein kann, dem ein zweiter – wesentlich wichtigerer – folgen muss: Sich in einer Zeit historischer Veränderungen aktiv an der politischen Auseinandersetzung zu beteiligen, um unserem abgewirtschafteten System die Unterstützung zu entziehen, für ein menschenwürdiges und gerechteres Gemeinwesen einzutreten und vor allem, um zu verhindern, dass die erwachende, bisher unpolitische Mehrheit sich Heilsverkündern anschließt, die uns alle einmal mehr ins Verderben führen.
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