Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.
Wenn man sich an Träume erinnern will, muss man Papier und Stift neben das Bett legen und sofort nach dem Aufwachen aufschreiben, an was man sich erinnert.
Nun denn, ich tat es, denn heute morgen, als die ersten Strahlen der goldenen Morgensonne begannen, mein Antlitz wachzuküssen, jedoch bevor die arge Wirklichkeit endgültig jenes zarte, feine Weben der Gedanken hinwegfegte, das uns allnächtlich mit der erquickenden Welt der Ideen verbindet, da deuchte mir, ich hörte eine Rede des neuen SPD Außenministers Heiko Maas, so süß, so ergötzlich, dass ich vor Freude im Schlaf nicht anders konnte, als mein Kopfkissen mit heißen Tränen zu benetzen. Die Rede ging so:
„Meine lieben Parteifreunde, liebe Bundesbürger, Männer wie Frauen. Die Sozialdemokratie steht vor der größten Krise ihrer Geschichte. Nicht nur in Deutschland, auch in Schweden und England. Die Wähler laufen uns in Scharen davon. Wir sind zwar zunehmend arm, aber schon lange nicht mehr sexy. Der Schulz-Zug entgleiste, kaum dass er die Montagehalle verlassen hatte.
Wie konnte es dazu kommen? Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. „Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht im Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.“ Das sind die Worte unseres Gründers Ferdinand Lassalle (1825 -1864).
Die Wahrheit ist: Das Taktieren der letzten Jahrzehnte, das Verharren im Kleinklein unserer Mutlosigkeit hat uns das Rückgrat gebrochen.
Es gilt, die großen Themen der Sozialdemokratie wieder in den Blick zu nehmen.
Wie schaffen wir eine Gesellschaft, in der die gesellschaftlichen Abstände sich verringern, jeder seine Arbeitskraft einbringen kann, so bezahlt, dass nur Meckerer etwas zu meckern haben, in der alle Menschen auf eine gute medizinische Versorgung, eine gesicherte Rente, auf Hilfe in Notsituationen vertrauen können, in der man nicht aus der Klassen und Schichtzugehörigkeit ableiten kann, welchen Bildungsabschluss Kinder erreichen werden? Wie schaffen wir Frieden in der Gesellschaft? Wie nutzen wir die Kraft des Kapitalismus, um ihn, auf eine neue Ebene gehoben, zu überwinden, ohne die Geistesfreiheit zu gefährden, wie schaffen wir es, den Idealismus der Jugend guten Gewissens zur Verbesserung einer gerechteren Gesellschaft zu nutzen, die keine Ausbeutung mehr kennt? Das ist das eine Thema.
Das andere lautet: Wie schaffen wir Frieden in der Welt? Es geht nur durch Verrechtlichung der Politik, die Abkehr vom Recht des Stärkeren, das kein Recht ist, sondern Willkür. „Der Säbel ist zwar der Säbel, aber nie das Recht.“ Auch dieser Satz stammt von Ferdinand Lasalle.
Wir haben das großartige Beispiel von Olof Palme, Egon Bahr und Willy Brandt, die in den 70er Jahren die Sozialdemokratie zu einer geistigen Supermacht der Friedenspolitik machten. Damals haben wir die Themen vorgegeben, das rechte Spektrum musste sich rechtfertigen. Unsere Ideen regierten den Diskurs. Es war ein genialer Anfang. Palme, Bahr, Brandt. In vielen Ländern der Welt, in Asien, Afrika, Südamerika stehen diese Namen für ein Versprechen, dass wir der Welt gegeben, aber nicht eingelöst haben.
Wir verspielen dieses große Erbe nun auch noch durch unsere Teilnahme an immer absurderen und verlogeneren Militäroperationen der westlichen Mächte USA, Großbritannien und Frankreich. Wir sind aufgerufen, unsere Feigheit vor dem Freund abzulegen, den Verbündeten die Gefolgschaft auf dem Weg in verbrecherische Kriege aufzukündigen und dafür zu sorgen, dass Europa keinen noch schlechteren Namen in der Welt bekommt, als es wirklich verdient hat.
„Alle Kunst praktischer Erfolge besteht darin, alle Kraft zu jeder Zeit auf einen Punkt – auf den wichtigsten – zu konzentrieren.“ Wieder Ferdinand Lassalle. Dieser Punkt ist das Themenfeld Gerechtigkeit und Frieden.
Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist Frieden. Aber nur die Vorstufe des Friedens, die Abwesenheit von Krieg, kann echten Frieden ermöglichen. Zwischen den Menschen, mit der Natur. Frieden ist Gerechtigkeit und Recht, das der Gerechtigkeit dient. Der Freundschaft zwischen den Völkern. Das ist eine ur-sozialdemokratische, und ich möchte sagen, auch eine ur-deutsche Aufgabe. Eben weil wir vor der Geschichte versagt haben. Wir stehen deswegen jetzt dafür, müssen dafür stehen, hellwach zu sein, Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Feindschaft im Ansatz zu erkennen und in Gutes zu verwandeln. Es ist unsere Pflicht. Es ist die einzig mögliche menschliche Antwort auf unsere Geschichte.
Deswegen möchten wir ganz besonders Frieden mit Russland, so wie wir Frieden mit den Juden und Israel wollen. Das heißt nicht, dass wir nicht Kritik üben, wenn wir es für nötig halten. Aber es heißt, dass wir mit Freundschaft, Klugheit und Respekt den Nationen gegenüber treten, die die Nachfahren der Menschen beherbergen, die in unserem Namen vernichtet werden sollten. Man kann uns nicht vorwerfen, Israel gegenüber versagt zu haben. Aber wir haben Russland gegenüber versagt. Die Russen sind uns mit Freundschaft entgegengekommen. Sie haben uns ermöglicht, wiedervereint zu leben. Sie haben uns die Hand entgegengestreckt. Wir werden diesen Großmut beantworten. Wir haben es in den letzten Jahrzehnten nicht getan. Wir werden es in Zukunft tun. Dafür stehen wir, die Sozialdemokraten.
Deutschland ist zu groß um zu schweigen und zu klein um zu herrschen. Wir wollen auch nicht mehr herrschen. Aber wir wollen eine Supermacht des Friedens, der Vernunft und der Verständigung werden. Die Welt wird unsere ökologisch klugen, enkelkompatiblen Erfindungen und Geräte bewundern. Wer immer Konflikte mit seinen Nachbarn hat, wird von uns Hilfe und Unterstützung erwarten dürfen, auf dem Weg zu einer diplomatischen, friedlichen Einigung. Wir wollen politische und vor allem militärische Neutralität. Wir werden wieder ausschließlich als Wissenschaftsnation, als Berufsausbilder für die Jugend der Welt Verantwortung übernehmen. Nicht mehr mit Soldaten, es sein denn, sie werden in naher Zukunft als Hüter eines Waffenstillstands von allen Konfliktparteien gerufen. Wir werden unser Militär schrittweise abschaffen, wie Costa Rica, ein Land in dem die Sozialdemokratie viele Freunde hat. Nicht weil wir zu naiv und zu gut für diese Welt wären, sondern weil wir es sehr ernst meinen mit unseren Zielen.
Die NATO ist kein Instrument des Friedens, spätestens nicht mehr seit dem Ende des Kalten Krieges. Sie wurde zum Zentrum des alten Denkens und eines neuen Triumphalismus, wie Gorbatschow es nannte. Die NATO hat versagt. Wir werden auf Gorbatschows Rat hören. Wir schulden ihm etwas, den Russen etwas, uns selbst etwas. Wahrhaftigkeit und Mut.
Wir werden uns bemühen, die Mitte zwischen Ost und West zu sein, zwischen der Pazifikregion, zwischen China, Russland und USA. Ein Garant des Friedens in Eurasien und der Welt.
Leider haben nicht nur wir, sondern auch unsere Medien auf dem Weg zu diesem Ziel versagt. „Hauptfeind der Entwicklung des deutschen Geistes ist die Presse“ sagte Lassalle. Die Medien haben versagt, weil sie ihre Aufgabe nicht erfüllt haben. Die Medien sollen keine bestimmte Meinung vertreten, sie sollen den Meinungskampf abbilden und ermöglichen. Sie sollen uns voran bringen, uns helfen, die Welt zu verstehen, bessere Problemlösungen zu finden, bessere Ideen zu entwickeln.Wir werden dafür sorgen, dass die Medien wieder ihre Aufgabe verrichten. Dass sie den Wettstreit der Ideen abbilden und befeuern. Dass sie uns kritisieren und kontrollieren, uns dabei unterstützen, unsere Aufgaben zu erledigen. Wer ein kluges, offenes Wort ausspricht, wird in Zukunft geachtet, nicht gemobbt. Dafür wollen wir stehen. Das versprechen wir auch unseren Kritikern. Großmut und Ritterlichkeit. Altertümliche Begriffe, deren Realität wir bitter vermissen und deren Realisierung uns begeistern wird.
Um zu beweisen, dass all dies keine schönen Worte sind, werden wir für neue Wege eintreten. Für die Einführung einer direkten Demokratie. Für ein Parlament, in dem die Linke, die echten Grünen, die wahren Konservativen und alle Menschen guten Willens mit uns an der Verwirklichung unserer Ideale mitwirken können.
Um zu beweisen, dass wir es ernst meinen, werden wir auf die Führungspositionen verzichten – aber nicht auf die Führung bei Ideen und Visionen. Wir können diese Vorherrschaft nicht erzwingen, sie kann uns nur durch freiwillige Einsicht verliehen werden. Dafür wollen wir stehen, als Sozialdemokraten.
Wir schlagen deshalb eine Interims-Regierung unter der Bundeskanzlerin Sarah Wagenknecht vor, um den Bruch der Sozialdemokratie zu heilen. Wir schlagen vor, wieder zu einer gemeinsamen Partei zu verschmelzen, uns „wiederzuvereinigen“.
Wir würden gerne den Außenminister stellen, der Wahrheit die Ehre, ich wäre es gerne – aber das muss nicht sein. Wir wollen eine Regierung mit Ministern aus allen Parteien, die an der Aufgabe, unsere Bevölkerung zum wahren Souverän zu machen, mitwirken wollen.
Als gemeinsames aussenpolitsches Ziel, als Gradmesser unserer Absichten, fordern wir die Abschaffung der Nuklearwaffen. Es ist ein ebenso schwierig zu erreichendes wie unverzichtbares Ziel, wenn die Menschheit überleben will. Es wird uns eine Ehre sein, dieses dicke Brett mit Hartnäckigkeit, Kreativität und Geistesgegenwart zu durchbohren. Es ist ein würdiges Ziel für Menschen.
Nicht weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist, wie John F. Kennedy einmal in anderem Zusammenhang sagte. Es ist eine Menschheitsaufgabe. So wie die Abschaffung der Sklaverei eine scheinbar unmögliche Menschheitsaufgabe war. Dieses Ziel soll der Beweis sein, dass wir die Zukunft mit Mut gestalten wollen. Es ist ein gutes Ziel für das Land der Dichter und Denker.
Ein letztes Mal möchte ich Ferdinand Lassalle zitieren: „Ohne Leidenschaft wird in der Geschichte kein Stein vom anderen gerückt! Ohne Leidenschaft ist keine einzige jener gewaltigen Befreiungen ausgeführt worden, deren Aufeinanderfolge die Weltgeschichte bildet.“
So träumte ich. Hin-und hergerissen zwischen der Angst vor zu großen Gefühlen und der Sehnsucht nach großen Gefühlen, fassungslos über mich selbst, angesichts meines fast fanatischen Willens, Sozialdemokrat zu werden, bedroht von der Kitschpolizei, angezogen von der Vorstellung eines lebenswerten Lebens, in der das Ziel nicht im Weg steht, der Weg auch nicht das Ziel ist, aber es ein echtes Ziel gibt, angesichts dessen die Mittel auf keinen Fall den Zweck entheiligen dürfen. Ich träumte von einem sinnvollen Leben, in dem es sich lohnt, jeden Morgen aufzuwachen. Um Nina Hagen zu zitieren: „Es war so schön.“
Dann wachte ich auf. Die Realität, nach einem alten irischen Sprichwort der Zustand, der durch einen Mangel an Alkohol entsteht, setzte erbarmungslos ein.
Andrea Nahles war die neue Vorsitzende der SPD. Der echte Heiko Maas war Außenminister.
Meine Vision hatte ein letztes Nahtoderlebnis, bevor ich wieder Mitglied der marktradikalen Leistungsgesellschaft mit Hartz4 Drohung wurde und ich mich, dem Ratschlag des großen SPD Vorsitzenden Helmut Schmidt folgend, auf den Weg zum Arzt machte, um mich einschläfern zu lassen. Dabei ging mir ein Märchen aus uralten Zeiten nicht aus dem Sinn, ich glaube, es waren Bruchstücke eines Gedichtes von Heinrich Heine:
In Deutschland um den Schlaf gebracht
verzehr ich mich nach Traum und Nacht
Ich möchte meine Augen schließen
dass wieder heiße Tränen fliessen.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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