Ein Kommentar von Dagmar Henn.
Man wird in Deutschland die alte Herrschaft nicht los. Die Nachfahren des Kartätschenprinzen, der einst die Revolution 1848 im Blut ertränken ließ, fordern eine Entschädigung. Und die Tatsache an sich löst kein Entsetzen, keine Empörung aus; nein, die Debatte dreht sich einzig darum, wie behilflich die Herren von und zu Hohenzollern (1) dabei waren, den Gefreiten aus Braunau in den Sattel zu hieven.
Das trifft juristisch zu, mag mancher einwenden. Schließlich geht es um Ländereien und Schlösser, die nach dem zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Zone enteignet wurden, weil sie Unterstützern der Naziherrschaft gehörten. Da das die meisten der dortigen Junker waren, traf diese Einteignung fast die gesamte Klasse, nicht nur die Hohenzollern. Und ja, die Treuhand hat sich viel Mühe gegeben, den meisten dieser adligen Herrschaften ihren Besitz zurückzugeben; wenn das als Rückübertragung nicht ging (weil sie eben die Macht der Nazis gestützt hatten, und die Enteignungen aus diesem Grund durch den Einigungsvertrag festgeschrieben wurden), dann, indem man ihnen für einen Spottbetrag die Güter zurückverkaufte. Klar, dass auch die Hohenzollern als Alphatiere des Rudels da ihr Teil abhaben wollen.
Eine Debatte darüber, wie eifrig sie nun dem Gefreiten die Steigbügel gehalten haben, bleibt aber auf halber Strecke stehen, weil sie so tut, als hätten sie einen Anspruch auf diesen Besitz, wenn dem nicht so wäre. Haben sie das wirklich? Gut, einer ihrer Ahnen hat mit Voltaire Briefe gewechselt; wiegt das die Hektoliter Blut auf, die ihre Untertanen in den unzähligen Kriegen der Preußenherrscher vergießen mussten, macht das vergessen, dass Preußen wie ein Bleimantel auf den deutschen Landen lag und den Geist durch den Kommiß verjagte? ‘Schlaf, mein Kind, schlaf leis’, heißt es in einem badischen Volkslied (2) aus dem 19. Jahrhundert, ‘da draußen geht der Preuß. Deinen Vater hat er umgebracht, deine Mutter hat er arm gemacht. Und wer nicht schläft in guter Ruh, dem drückt der Preuß die Augen zu. Schlaf, mein Kind, schlaf leis. Da draußen geht der Preuß’.
Der deutsche Nationalstaat war, als er 1871 aus der Taufe gehoben wurde, ein abscheulicher Zwitter aus Bürgerlichkeit und Feudalmacht, Leibeigenschaft mit eingeschlossen, und der verstümmelten Revolution 1918 gelang es noch immer nicht, den Griff des Adels um den Hals zu brechen; das Volksbegehren zur Fürstenenteignung 1926 scheiterte, und die Blutsauger wurden entschädigt…
Es sind übrigens nicht nur die Fürsten, es sind auch die Kirchen (3), die bis heute staatliche Gelder erhalten, weil ihr Landbesitz säkularisiert, also enteignet und verteilt wurde. Das geschah bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts, und bis heute fließen Jahr für Jahr Millionen an Steuergeldern zusätzlich zur Kirchensteuer – also auch aus den Taschen jener, die nicht Mitglied irgendeiner Kirche sind. 460 Millionen Euro sind das jedes Jahr, entrichtet, weil Klöster und Bistümer keine Leibeigenen mehr die Ackerfurchen ziehen lassen dürfen.
Unzählige Zeitschriften der Gelben Presse arbeiten unermüdlich daran, die Lakaiengesinnung aufrecht zu erhalten, aber selbst das bürgerlichste Journal schämt sich nicht, Adelstitel zu gebrauchen, die seit 1918 verschwunden sein sollten; sie müssten vom Herrn Hohenzollern schreiben, nicht vom ‘Prinzen’… Einzig im annektierten Teil war es vorübergehend gelungen, den Geburtsfehler der ersten deutschen Republik zu beheben.
Dabei kann selbst einem Fünfjährigen mühelos erklärt werden, dass der Reichtum der Fürsten nicht durch eigene Leistung erworben, sondern aus Zwangsarbeit gepresst und zusammengeraubt wurde. Niemand käme angesichts der Porträts dieser Herrschaften auf den Gedanken, sie hätten ihre Zeit mit der Erschaffung von Werten verbracht; sie ließen nur schaffen. Eine ordentliche bürgerliche Gesellschaft, die sich, anders als in Deutschland, rechtzeitig der Aristokratie entledigt hat, hat auch keine Probleme damit, diese einfache Wahrheit auszusprechen.
Nur in Deutschland kann das nicht einmal mit Blick auf die Fürsten gesagt werden. Ça ira (4) wurde hier nie gesungen. Das Elend der einfachen deutschen Untertanen, auf dem all der aristokratische Pomp beruhte, wird gnädig vergessen; vom Gemetzel, das der ‘Bauernjörg’ (5) gerufene Waldburger Graf 1525 unter den aufständigen Bauern anrichtete, über die Verwüstungen des Dreissigjährigen Krieges, in dem sich unzählige Fürsten wie Köter um die Beute balgten und das Land verheerten, bis hin zum Holzsammelverbot in preußischen Wäldern – lasst uns den Mantel des Schweigens darüber legen und so tun, als sei das ehrlich erworbenes Gut. Schließlich ist das Eigentum heilig, zumindest dort, wo es in großer Menge auftritt.
Niemand in dieser glorreichen Republik ist Willens, das große Faß aufzumachen und den Besitz all der unzählig vorhandenen großen und kleinen Fürsten in Blick zu nehmen. Im Gegenteil; eher wären sie wohl bereit, die Hohenzollern abzufinden, damit ja niemand den Deckel dieses Fasses lüftet und auf all die anderen weist, die ebenfalls reichlich Leichen im Keller haben, die Nachfahren besagten Bauernjörgs beispielsweise, die nach wie vor reich und mächtig sind, die Thurn und Taxis, die Welfen… bis hinunter zu einem Herrn Egloffstein (6) alle miteinander überzeugt, die besseren Menschen zu sein und zu Recht auf ihren zusammengeraubten Schätzen zu sitzen. Die meisten davon dürften eifrige Verfechter der Naziherrschaft unter ihren Ahnen haben, gern auch den einen oder anderen SS-Offizier; aber jene, die in der Westrepublik lebten, wurden niemals dafür zur Rechenschaft gezogen, so wenig wie für alle anderen Verbrechen in den Jahrhunderten davor.
Dumm gelaufen für die Hohenzollern, weil die sowjetischen Truppen ihnen den Besitz nahmen? Nein, eher dumm gelaufen für die Einwohner der Westrepublik, weil sie den Weimarer Geburtsfehler weiter ertragen mussten und nicht einmal die Nester der äußersten Reaktion, des deutschen Adels, ausgehoben wurden. Und ihnen anerzogen wurde, nicht nur für die Herren der Banken und Konzerne den Knecht zu geben, sondern auch immer noch für die Fürsten. Und dieser Knechtsgeist, das Kratzfüßige, das Untertanenhafte, derart eingebläut wurde, dass nicht einmal mehr ein Dichter zu finden ist, der diese Vorgänge angemessen sarkastisch kommentiert, wie dies Erich Weinert 1925 tat:
Fürstenaufwertung
Die abgetakelten Dynastien
Die dunnemals auf Grund von vergilbten
Familienpapieren und großem Spleen
Dahergeschwenkert im Hermelin
Und Kronen über die Ohren stülpten,
In deren komplettem Ahnensaal
Gepanzerte Spitzbuben rumgespenstern,
Die fürstlich versoffen das Kapital,
Das man mit Gott zusammenstahl,
Mit Huren und untertänigen Wänstern,
Die dann von Detmold bis nach Berlin
Sich aufgetakelt in Denkmalsposen,
Die schauerlich große Bögen spien,
Solange die Sache nicht brenzlig schien,
Doch dann verduftet mit vollen Hosen,
Dieselben, die wir, rührend human,
Leider damals nicht in den Kasten steckten,
Die fühlen sich wieder als Obertan
Und schnarzen herum mit Größenwahn
und sämtlichen Militäreffekten.
Dieselben, die damals Gebete gelallt,
Daß wir ihnen nicht den Arsch verdroschen,
Die brüllen heut nach dem Staatsanwalt
Und fordern ihr volles Friedensgehalt,
Und das bis zum letzten Arbeitergroschen.
Ein republikanisches Landgericht
Entschied für die Schwarzburg-Sondershausen:
Die guten Sitten erlauben nicht,
Dass den deutschen Fürsten ein Leids geschicht;
Denn die hatten schon immer das Recht zu mausen.
Wir verstehen uns schon auf den guten Ton
Und leben in landesherrlichen Zeiten.
Wovon soll auch sonst der Landespatron
Die Kosten der Konterrrevolution
Und der teuren Denkmalsparaden bestreiten?
Was die Herren vorzeiten expropriiert
(Das heißt zusammengeklaut mit Gottes Gnaden),
Wird ihnen feierlichst garantiert.
Und der kleine Mann, der hungert und friert,
Bezahlt den ganzen Monarchenladen.
Nun bezieht sich jeder Winkeldynast
Auf die vornehmen thüringschen Rechtsentscheide.
Jeder Stammbaum bis zum fünfzigsten Ast
Fällt uns dann lebenslänglich zur Last
Und liegt uns wie Blei im Eingeweide.
O du höfliche deutsche Revolution,
du verkanntest damals den Sinn der Laternen!
Du vergoldest die Strolche, die dich bedrohn.
Wann wirst du gegen den „guten Ton“
und die „guten Sitten“ verstoßen lernen?
- https://www.ostsee-zeitung.de/Nachrichten/Politik/Historiker-Entschaedigung-fuer-die-Preussen-Familie-waere-moralisch-schwer-begruendbar
- https://www.volksliederarchiv.de/schlaf-mein-kind-schlaf-leis/
- https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/enteignung-der-kirchen-entschaedigungen-bis-in-alle-ewigkeit-12555649.html
- https://www.youtube.com/watch?v=L9VoRmjxvPs
- https://www.ovb-online.de/weltspiegel/bayern/bauernjoerg-4998760.html
- https://www.sueddeutsche.de/bayern/der-graf-will-uns-mit-allen-mitteln-schaden-alles-meins-1.3236762
- Erich Weinert, Zeit-Gedichte, Berlin 1968
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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung.
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Bildhinweis: Viacheslav Lopatin / Shutterstock
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