Politik auf der neuen Seidenstraße.
Ein Kommentar von Mathias Bröckers.
Als ich mich neulich am globalen Lagerfeuer der Fußball-WM niederliess und sich der Kick von Costa Rica gegen Serbien als etwas öde erwies, blätterte ich die FAZ Sonntagszeitung durch. Die war aber genauso uninteressant und langweilig, bis ich auf eine halbseitige Infografik stieß, eine Anzeige der HSBC , der Hongkong & Shanghai Banking Corporation: “Die neue Seidenstrasse auf einen Blick”(pdf). Normalerweise ignoriere ich Anzeigen von Banken, diese aber mit ihren Strecken, Zahlen und Daten der chinesischen “Belt & Road”-Projekte schaute ich mir länger an und mir kam dabei in den Sinn, was ich unlängst über den “Kampf um die Weltinsel” – Halford Mackinders nach wie vor aktuelle geopolitsche “Herzland”-Strategie – geschrieben hatte:
“Wer das „Herzland“, die Mitte zwischen Europa und Asien und somit das Zentrum des eurasischen Kontinents beherrscht, beherrscht die Welt, lautete Mackinders These. Da durch die kommenden Technologien der Eisenbahnen und des Automobils der Handel und Wandel zwischen Europa und Asien unausweichlich sei, wäre die auf der Seeherrschaft beruhende britische Weltmacht chancenlos. Vor allem wenn das rohstoffreiche Russland mit dem industriestarken Deutschland zusammenwachse. »Wer Osteuropa regiert, beherrscht das Heartland; wer das Heartland regiert, beherrscht die Weltinsel; wer die Weltinsel regiert, beherrscht die Welt«, brachte Mackinder seine Geostrategie später auf den Punkt.
Wer die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf diesem Hintergrund liest, kann erstaunliche Einsichten über die Kontinuität gewinnen, mit der Briten und Amerikaner ihre globale Machtpolitik betreiben.“
Wer die schon bestehenden, noch im Bau befindlichen und noch geplanten eurasischen Infrastrukturprojekte in mehr als 65 Ländern und im Umfang von 900 Milliarden Dollar realisiert, kann auf einen Blick erkennen, warum es im 21. Jahrhundert mit der unipolaren Herrschaft des anglo-amerikanischen Imperiums zu Ende gehen wird. “Geografie ist Schicksal” soll Napoleon einmal gesagt haben und derart schicksalhaft gehören auch die Kontinente von Europa und Asien zusammen, als größte Landmasse dieses Planeten und mit 2/3 seiner Bevölkerung. Nur eine tektonische Plattenverschiebung, nicht aber ein noch so desaströser Krieg können an dieser terrestrischen Tatsache irgendetwas ändern. Wer dann wie die Nato und die deutsche Regierung auf Befehl von Washington dagegen aufrüsten und Krieg führen will, hat diese Tatsache schlicht nicht verstanden – und eine EU, die für 6,5 Milliarden panzerfeste Seitenstraßen bauen will, statt Handel und Wandel auf der zukunftsträchtigen Seidenstraße anzustreben, ist einfach nur verrückt.
„Wandel durch Annährung“ lautete das Motto, unter dem Willy Brandt und Egon Bahr in den 1970er Jahren eine neue Außenpolitik in Richtung Osten etablierten, die nicht mehr auf Konfrontation, sondern auf Zusammenarbeit ausgerichtet war. Passierscheine und Transitabkommen, Gespräche und Handelsübereinkommen – kleine, vernünftige Schritte, die das Leben der Menschen in der DDR und in der BRD erleichterten. Damals, im Kalten Krieg mit einem starren kommunistischen Block am Verhandlungstisch, mit einer Mauer durch Deutschland und Panzer auf beiden Seiten, waren solche Verhandlungen und Annäherungen ungleich schwieriger, als sie es heute wären. Dass die Mauer fiel und Deutschland auf friedliche Weise wiedervereinigt wurde, verdankt sich nicht zuletzt dieser Politik. Dass der Westen und Deutschland mittenmang und vorneweg jetzt seine Panzer an die Grenzen Russlands rollt und die USA vor der Küste Chinas mobilisieren, dass also wieder auf neue Mauern, mehr Waffen und weitere Konfrontation gesetzt wird, ist ein fataler Schritt in die falsche Richtung. Deutschland und Europa brauchen dringend eine neue Außenpolitik, die den geographischen und ökonomischen Tatsachen des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt.
Quellen:
2. – http://iads.fazcdn.net/manufaktur/hsbc/hub/images/20180615_OUT_FAZ-HSBC.pdf
3. – https://www.broeckers.com/2018/05/14/der-kampf-um-die-weltinsel/
4. – https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-06/aufruestung-eu-kommission-nato-ulm
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