Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.
Am Sonntag hat die kommunistische Partei in China bekanntgegeben, dass die Begrenzung auf zwei Amtsperioden für den Präsidenten und Vizepräsidenten aufgehoben wird. In den internationalen Medien der westlichen Welt begann danach erwartungsgemäß Heulen, Zähneklappern und ausgedehnte Orakelbefragung.
Was haben die chinesischen Kommunisten jetzt wieder für finstere Pläne, fragten sich die bestbezahlten Köpfe der angeblich bestinformierten Qualitätsmedien?
Ganz klar, die Roten wollen Präsident Xi Jinping offenbar zum Diktator auf Lebenszeit wählen. Ein Abschaffen der Amtszeitbegrenzung kann nur diesem finsteren Zweck dienen. Zwar wird die Einführung des lebenslangen Diktators ein bisschen mühsam, der Präsident muss ja alle 5 Jahre wiedergewählt werden, aber ohne Opposition ist das ohne weiteres machbar.
So etwas ist in der Freien Welt mit ihrer großartigen parlamentarischen Demokratie natürlich nicht vorstellbar. Dort sorgt z.B. das fast 250 Jahre alte System der US Demokratie dafür, dass ein Präsident nicht mehr als zwei Amtsperioden herrschen kann. Großartig. Aber wie wichtig ist das? Was ändert das daran, dass jemand wie Donald Trump mit weniger als 50% der Stimmen zum US Kriegspräsident ernannt wurde? Dass er zum Führer der mächtigsten Streitmacht der Welt wurde, die mehr Geld verschlingt als die Streitmächte aller anderen Länder zusammengenommen, zum Führer einer Regierung, die den Erdball mit humanitären Interventionen und Regime Changes überzieht, dem die Codes der Nuklearwaffen anvertraut sind und damit das Schicksal der Menschheit. Die USA sind eine Demokratie. Na prima! Sie sorgen seit 2001 nur noch dafür, dass dieser Begriff anfängt zu stinken.
In China dagegen herrscht eine kommunistische Diktatur. Aber welchen Krieg hat die noch mal vom Zaun gebrochen? In welchen fremden Ländern kämpfen zur Zeit chinesische Soldaten? Wo haben die Chinesen Flottenstützpunkte? In welchen fremden Gewässern abseits ihrer direkten Umgebung agieren sie aggressiv? Wo führen sie Krieg? Welche ausländischen Regierungen hat China zu Fall gebracht? Wo und wann haben sie sich angemaßt, ungerufen die Rolle des Weltpolizisten zu spielen? Aber die USA sind eine ehrenwerte Demokratie.
Und China ist eine kommunistische Diktatur. Deren Präsident jetzt mehrmals wiedergewählt werden kann. Habe ich geschrieben, dass so etwas in einer parlamentarischen Demokratie nicht vorstellbar ist? Nun, in Deutschland…
Angela Merkel wird zum 4 mal Bundeskanzlerin, nach Helmut Kohl, der ebenfalls 4 mal Bundeskanzler war. Das ist zwar -gefühlt- ein Überbleibsel der wilhelminischen Monarchie, also irgendwie auch Diktatur light, sollte aber mit USA und China nicht verglichen werden. Erstens, lassen wir die Kirche im Dorf, weil Merkel bisher nicht so schlimm wie Trump war und ist.
Aber zweitens, weil in China, wie wir alle aus unseren glorreichen Medien wissen, angeblich ein brutales Unterdrückungssystem herrscht, das seine Arbeitsameisen als Wanderarbeiter Frondienste leisten lässt, oder war es umgekehrt -egal- wichtig ist vor allem der Vergleich mit sechsbeinigen Lebensformen, und der Hinweis auf die roboterhafte Gesichtslosigkeit der gelben Gefahr. In China, auch das haben wir jahrzehntelang „gelernt bekommen“, beutet eine korrupte Nomenklatura das Land aus, neuerdings frönen deren Funktionäre sogar dem „American Way of Life“, rote Parteiprinzen lassen auf sechszehnspurigen Autobahnen im Lamborghini die Champagnerkorken knallen und benehmen sich wie Gucci-bebrillte Yuppies. Obwohl sie dazu keine Berechtigung haben, denn sie gehören ja nicht wirklich der weltweiten IWF-Sekte der Marktradikalen an. Sie sind also FakeYuppies.
Vor allem aber, weil China sich so gar nicht dem wohltemperierten, von RTL2 bespaßten Zerfall überantwortet, der unser Land auszeichnet, und den wir jetzt weitere vier Jahre beobachten werden müssen. China ist nicht Deutschland.
Wo soll man anfangen? China hat mehr Menschen aus der Armut befreit, als jedes andere Land der Welt. Das Durchschnittseinkommen verfünffachte sich zwischen 1990 und 2000 von $200 auf $1000. Von 2000 bis 2010 stieg es mit der gleichen Rate, von $1000 auf $5000. Bis 2020 will die kommunistische Partei die Armut in China, die sie mit schärferen Werten definiert als die UN, komplett abgeschafft haben, was sie schaffen wird, wie bisher alles, was sie angekündigt hat. Die Regierungsverlautbarung „Wir schaffen das“ hat in China ein anderes Gewicht als bei uns.
Mittlerweile ist China auf den Weg in eine Mittelstandsgesellschaft, wie der Gini-Koeffizient zeigt.
Der Gini-Koeffizient gibt an, wie gleichmäßig der Reichtum in einer Gesellschaft verteilt ist, 0 ist der beste Wert, 1 der schlechteste. Diese Interpretation des Wertes gilt, wenn man eine gleichmäßige Verteilung des Reichtums für gut hält, was ja nicht alle so sehen, bei uns z.B. weder CDU/CSU noch SPD noch Grüne noch FDP noch AfD, nur einige Linke hängen noch „Umverteilungsphantasien“ an, aber auch die werden bald vom Klaus Lederer Flügel entmachtet werden.
Auch wenn sie das nicht öffentlich sagen, unsere Politiker handeln, mit wenigen Ausnahmen „neoliberal“ (d.h. privatisieren und Sozialleistungen abbauen) denn das Ergebnis der deutschen Wirtschaftspolitik seit 1949 ist mit etwa 0,77 der zweitschlechteste Wert Europas. Und er wird immer noch schlechter. Wie sagte mein konservativer Sozialkundelehrer immer, mit strafendem Seitenblick auf die UdSSR: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“. Er hat es anders gemeint, aber er hat trotzdem recht behalten.
Der Gini-Koeffizient in China liegt nach einer rasanten Talfahrt über viele Jahre, Folge der chinesischen Wirtschaftspolitik, jetzt bei 0,46. Das ist eine einzigartige Leistung. Das Ziel der kommunistischen Partei in China ist übrigens ein Wert von 0,3.
In China wurde in den letzten Jahren bei boomender Wirtschaft außerdem ein Sozialstaat aufgebaut, in dessen Sicherungsnetz rasant immer mehr Menschen aufgenommen werden, mittlerweile sind es etwa 40%, der Bevölkerung, Tendenz sehr schnell und sehr stark steigend. Krankenversicherung, Rente, Arbeitsunfähigkeit, das ganze Paket, das bei uns Stück für Stück beseitigt wird, wird dort aufgebaut. Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen. Das ist der pure Kommunismus. Oder die pure Sozialdemokratie. Oder auch die pure katholische Soziallehre. Auf jeden Fall ist aus amerikanischer Sicht todeswürdig. Glücklicherweise ist eine „humanitäre Intervention“ der USA zum Schutz der Menschenrechte in China nicht ganz so einfach durchführbar. Obwohl ich sicher bin, dass über die Bedingungen der Möglichkeit in Langley angestrengt nachgedacht wird.
Die Extremwerte der Einkommensverteilung werden in China systematisch beseitigt, sowohl bei den hohen wie geringen Einkommen.
Die immensen Dollarbestände, die China angesammelt hat, werden jetzt vermehrt in Investitionen im chinesischen Hinterland gesteckt, in das „One Belt One Road“ Projekt (der deutsche Begriff „Neue Seidenstraße“ trifft es nicht) und einen Umbau der Wirtschaft. Planmäßig. China wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten um qualitatives Wachstum bemühen, es ist schon jetzt Weltspitzenreiter bei Elektroantrieben von Fahrrad bis LKW (!) die Kohlekraftwerke werden abgeschaltet. Die smogverseuchte Luft in Peking ist im letzten Jahr besser geworden. Nicht nur in Peking. Und in der Wüste Gobi aber auch in anderen Gebieten wird in gigantischem Maßstab aufgeforstet. Umwelttechnologien werden in großen Stil eingeführt. Die Situation in China verändert sich so rasant, dass nur die jeweils neuesten Daten verwendet werden können.
Man könnte glauben, die Ameisenarmee der deutschen Ingenieure wäre unter mutiger Führung losgelassen worden, um die Welt mit Hans Dominik und Jules Verne Projekten zu retten. Man könnte glauben, die deutsche oder europäische Sozialdemokratie würde nach China pilgern, um sich von den Kommunisten zeigen zu lassen, wie man mit Geld umgeht und eine lebenswerte Gesellschaft aufbaut.
Weit gefehlt. Wir besitzen zwar noch die Arroganz der vergangenen 150 Jahre, aber nicht mehr die Fähigkeiten. Während China experimentiert und viele Großprojekte anschiebt, vernünftig geplant, mit vernünftigen Zukunftsaussichten, verschieben wir den Eröffnungstermin für den BER immer wieder um ein weiteres Jahr. Deutschland ist Experte in Sachen Kleinklein. Ein seltsam mutloses Land.
Was hatte Margaret Thatcher auf die Frage geantwortet, was der größte Erfolg ihrer Amtszeit gewesen sei? „New Labour“. Das hat sie sehr böse sehr richtig ausgedrückt. „New Labour“, das war die „Neue Sozialdemokratie“ von Tony „The Poodle“ Blair. Das deutsche Gegenstück dazu war und ist die Agenda 2010. Sie hat uns einen boomenden Billiglohnsektor, Mietarbeit, Jahresverträge, Armut und Praktikantenjobs gebracht. Und Mutlosigkeit.
Jetzt ist die Sozialdemokratie auf dem Weg zu 5% minus X, wie die „Titanic“ es zutreffend beschreibt, aber fälschlich als Satire deklariert. Ausgerechnet jetzt, wo man eine echte Sozialdemokratie brauchen würde, (und nicht diese SPD!) als Bestandteil einer Regierung, die von China lernt, wie man den Kapitalismus als Motor nutzt, aber beherrscht, wie man den Sozialstaat modernisiert und ausbaut, und wie man dabei die großen Probleme der Welt im Blick hat. Eine Sozialdemokratie, die mit gutwilligen Helfern weltweit und gemeinsam mit China und Russland an einer multipolaren Welt arbeitet.
Auf der Suche nach vernünftigen Kooperationspartnern wären wir besser beraten, den Blick nach Osten zu wenden, auf Russland und China. „Im Westen nichts Neues“ ist leider nicht zutreffend. Zutreffend ist: „Aus dem Westen nichts Gutes“. Was von dort kommt, müssen wir im Blick behalten, um Schaden zu minimieren. Die USA sind ein zerbröckelndes Imperium, das mit süßen Worten lockt, aber geostrategisch denkt und handelt. Das macht sie gefährlich. Wir sollten endlich beginnen, auf eigenen Füßen zu stehen. Ohne dabei unseren Nachbarn auf die Füße zu treten. Ohne militärische Interventionen. Wie das geht, ruhig und zielstrebig, ohne große Worte, auch das können wir von den Chinesen lernen.
Yu Gong hat Berge versetzt. Wann fangen wir an?
Quellen
https://www.oai.de/en/45-publikationen/sprichwort/842-yu-gong-versetzt-berge.html
https://edition.cnn.com/2018/02/26/asia/china-xi-jinping-president-intl/index.html
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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