Von Hermann Ploppa.
Der heimtückische Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat deutlich gemacht, wie gefährlich mittlerweile Politiker vor Ort in den Gemeinden leben. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Rieker und der Bürgermeister der sauerländischen Stadt Altena, Andreas Hollstein, überlebten Mordattacken erboster Mitbürger nur mit Mühe und Not. Die Umfrage der Fachzeitschrift Kommunal ergab, dass 2 Prozent der befragten Kommunalpolitiker bereits körperlichen Angriffen ausgesetzt waren. Vor allem die ehrenamtlich Tätigen führen notwendige und überaus wertvolle Arbeit unter selbstausbeuterischen Bedingungen aus und sind der zunehmenden Gewalt schutzlos ausgeliefert. Sie müssen die bittere Zeche zahlen für die kriminellen Aktionen prominenter Politiker, die üppig entlohnt werden und dabei auch noch professionellen Personenschutz genießen.
Dabei fällt dem Bundesinnenminister Horst Seehofer nichts Besseres ein, als die Grundrechte einzuschränken. Seehofer nimmt den Ball auf, den der christlich-fundamentalistische CDU-Politiker Peter Tauber in die Runde zu werfen wusste: Um tollwütige Hassbürger zu stoppen, sollte man den bislang nicht eingesetzten Paragrafen 18 des Grundgesetzes in großem Stil aktivieren.
Dieser Paragraf sieht vor, dass Mitmenschen, die die bürgerlichen Freiheiten des Grundgesetzes missbrauchen, um eben diese Freiheiten auszuhebeln, selber von diesen Freiheiten ausgeschlossen werden sollen.
Diese Regelung ist ein deutsches Unikat und in anderen Staaten unbekannt. Wurde bis dato auch nur in vier Fällen gegen bekannte Rechtsextremisten angestrengt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich allerdings in allen vier Fällen geweigert, Verfahren zuzulassen.
Die Aberkennung bürgerlicher Freiheiten mit dem §18 kann nur das Bundesverfassungsgericht beschließen. Und wie jeder weiß, dauert es Jahre, bis aus der Beantragung eines solchen Verfahrens ein rechtskräftiges Urteil wird. Das ganze Prozedere kostet zudem einen Haufen Geld.
Ist also für die von Tauber und Seehofer vorgesehenen Einsatzbereiche vollständig ungeeignet. Das wissen die beiden Herren sicher auch. Was also soll der offenkundige Unsinn? Die schwammigen Ausführungen des Bundesinnenministers über „mehr Bissigkeit“, die die – vermutlich – wehrhafte Demokratie zeigen soll, lassen nichts Gutes vermuten.
Herr Seehofer, ist Ihnen schon mal der Einfall zuteil geworden, dass man eine Demokratie am besten dadurch verteidigt, indem man die bereits seit Ewigkeiten bestehenden rechtlichen Mittel ausschöpft, ich meine: wirklich ernsthaft ausschöpft – anstatt mal eben das Grundgesetz durch einen juristischen Blinddarm wie den ominösen Paragrafen 18 sich selber verzehren und ad absurdum führen zu lassen?
Es gibt gute Gründe für dieses würdelose Blinde-Kuh-Spiel. Die verantwortlichen Politiker verschärfen nämlich jeden Tag mit ihren Beschlüssen und Verordnungen eine verfassungswidrige Wirklichkeit. Anstatt dem grundgesetzlichen Prinzip der Gleichbehandlung und den gleichen Chancen Geltung zu verschaffen, verwehren sie immer mehr Menschen Einrichtungen, öffentliche Plätze und Dienstleistungen.
Ich meine die zunehmende soziale Spaltung, die mittlerweile nicht mehr zu übersehen ist. Damit einher geht eine galoppierende Vereinsamung und Entwurzelung der Menschen. Die Erdung durch soziale Kontakte entfällt, und immer mehr Menschen verweigern die Realität und wandern ab in eine Fantasy-Welt.
Dieser ganz faktische Grundgesetzbruch führt zu immer mehr Selbsthass. Und wer sich selbst hasst, hasst auch seine Umgebung. Ein Brutbett für zunehmende Brutalisierung und für paranoide Wahrnehmung.
Und die Mainstream-Medien radikalisieren diesen Trend. Schon der Chefideologe des US-Kapitalismus, Walter Lippmann, stellte fest, dass die Medien am meisten Aufmerksamkeit erzielen, wenn sie zwei sich prügelnde Männer vorführen. Der panische Überlebenskampf um möglichst viele Clicks und möglichst hohe Verkaufszahlen zwingt Medienmacher dazu, den Rat Lippmanns bis zur Absurdität zu beherzigen: Möglichst zwei aggressionsbeladene Gruppen gegeneinander aufhetzen.
Eine Online-Zeitung versprach in ihrem Titel, ein arabischer Clanchef in Berlin erkläre der Gruppe Rammstein den Krieg. Im dazu gehörigen Fließtext erfahre ich, dass die Reporter einem arabischen Clanchef Rammstein-Musik vorspielten und der Clanchef dann meinte, die Musik gefiele ihm nicht. Toll! Brände löscht man am besten mit Benzin, oder welches ist die innewohnende Logik? Der Hass wird geschürt und ist wohl das letzte Aufgebot im Aufmerksamkeits-Werkzeugkasten, den die Mainstreampresse noch hat?
Und dann gibt es ja interessierte Kreise, die dieses Feuerchen noch in eine gewünschte Richtung blasen. Geheimdienste haben schon immer gut auf der Klaviatur der zerstörten und verstörten Seelen gespielt. Das zählt augenblicklich sogar die reputierliche Zeit in einem längeren Artikel minutiös auf.
Und je weiter Ereignisse in der Vergangenheit zurückliegen, umso offener wird sogar im Mainstream zugegeben, dass Geheimdienste gemeingefährliche Nazis rekrutiert, geführt und organisiert haben: da sind, nur als ein Beispiel, die Stay-Behind-Terroristen von Gladio und ihre diversen perversen Spielarten in Westeuropa. NSU?
Da müssen wir noch 120 Jahre warten, bis die entsprechenden Deckungsspieler der Geheimdienste in den dann freigegebenen Akten erkennbar werden. Das alles und die mafiösen Strukturen in diesem unserem Lande und ihre operative Beziehung zum tiefen Staat werden uns wohl weiterhin lieber nicht offenbart.
Der blinde Aktionismus der Grundrechtsabschneider Seehofer und Tauber hat also wieder nur den Zweck, in der Presse den Eindruck zu erwecken, hier werde beherzt gegen Übeltäter eingeschritten. Dieser unzutreffende Eindruck soll dann bis zu den nächsten Wahlen vorhalten. Und wer dann vorgibt, gegen Rechtsterrorismus vorgehen zu wollen, kann beherzt gegen missliebige Querdenker aus einem ganz anderen Lager vorgehen. Die Brandstifter rufen selber nach der Feuerwehr.
Noch einmal: wie wäre es mit der konsequenten Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel, die schon lange zur Verfügung stehen? Hassprediger toben sich im Internet ungestört aus, weil niemand sich um die Pflicht zum Impressum kümmert.
Wenn die Betreiber von Internetportalen sich ausweisen würden mit Namen und Adresse, könnte man sie zur Rechenschaft ziehen. Viele Betreiber von Nazi-Hassportalen müssten dann für die Inhalte teuer bezahlen. Warum wird dieser Weg nicht beschritten? Naja, es könnte ja sein, dass dann im gleichen Atemzug auch der NATO und der EU nahestehende Portale wie Wikipedia empfindliche Strafen zahlen müssten für ihre Diffamierungen von NATO-Kritikern.
Oder das Hassportal Psiram müsste Schmerzensgeld zahlen für die Lügen, die von dort gegen über 900 deutschsprachige Intellektuelle ins Netz gestellt wurden. Es gibt also gute Gründe für Seehofer & Co, die juristische Greifbarkeit von fragwürdigen Internetportalen tunlichst zu unterlassen. Und stattdessen den Nonsens vom Paragrafen 18 zu ventilieren.
Aber das ist kein Grund zur Entwarnung. Das fundamentale Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und mediale Verbreitung dieser freien Meinungsäußerung soll massiv beschnitten werden.
Auf der Ebene der Europäischen Union sind Maßnahmen gegen missliebige Kritik bereits eingetütet worden, wie Hannes Hofbauer gerade in den Nachdenkseiten dargelegt hat. Der Boden für verfassungswidrige Kriegsvorbereitung und weiteren Sozialabbau ist bereitet. Wachsamkeit ist angesagt.
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Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
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Dieser Beitrag erschien am 26.06.2019 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.
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