Ein Kommentar von Dagmar Henn.
Um Mitleid heischen ist ein normaler Teil des menschlichen Verhaltens. In manchen Fällen fragt man sich allerdings, ob dieses Heischen eher peinlich oder eher lächerlich ist.
Diese Woche gab es ein ganz besonderes Exemplar dieser Kategorie – ein Interview der beiden BMW-Großaktionäre Stefan Quandt und Susanne Klatten.
Sie fühle sich missverstanden, wenn es heiße, die streichen die Dividenden ein, klagte Frau Klatten. Schließlich müsse man sich ständig schützen, und da wäre der in Deutschland so verbreitete Neid.
Ja, die Oligarchen des Kapitals haben es schon schwer im Leben. Es geht ihnen nicht anders als den Fürsten früher, die nach Zuchtbuch heiraten und ihr Leben in zugigen Schlössern verbringen mussten. Und die auch gerne ihr Leid klagten, wie schwer sie an der Verantwortung doch tragen müssten.
Aber betrachten wir einmal, wovon da überhaupt die Rede ist. Das Vermögen dieser beiden Geschwister ist, diese Information liefert das interviewende Manager-Magazin gleich mit, seit dem Jahre 2008 von 11,5 auf 34 Milliarden Euro gewachsen. 34 Milliarden, das sind 34 000 Millionen. Zuletzt erhielten sie darauf eine Dividende von einer Milliarde allein für die Anteile an BMW; das übersetzt sich in Einnahmen in Höhe von fast eineinhalb Millionen für jeden der beiden, pro Tag. Geld, das verkonsumiert werden müsste, wollten sie nicht immer reicher werden. Eineinhalb Millionen am Tag auszugeben, und das 365 Tage im Jahr, das ist schlicht unmöglich.
Diese Beträge muss man in Bezug zu alltäglicheren Summen setzen, um sie faßbar zu machen. Eineinhalb Millionen, das ist beinah fünfmal das Salär der Kanzlerin. Das wäre selbst in der Hochpreisstadt München ein Einfamilienhaus. Es ist so viel, wie die meisten Bewohner dieses Landes in ihrem gesamten Leben nicht verdienen. Jeden Tag.
Die Einnahmen der Manager sind bekannter. Der Vorstandsvorsitzende von BMW erhält acht Millionen Euro im Jahr. In die Welt des Mittelalters übersetzt ist das der Burgvogt; die oberste Kategorie des Dienstpersonals. Seine Chefin hat das sechzigfache dieses Betrages. Das dürfte dann ungefähr noch einmal der Abstand sein, der zwischen einer Putzfrau im Niedriglohn, die sein Büro reinigen darf, und diesem Vorstandsvorsitzenden herrscht.
Nehmen wir ein einfaches Maß menschlicher Gleichheit. Gleichheit herrscht zwischen zwei Menschen, die ehrlich miteinander umgehen, einander beispielsweise ein Arschloch nennen können. (Natürlich macht sich die Gleichheit auch im Positiven bemerkbar, ihre Grenzen werden im Negativen nur schneller kenntlich). Der Abstand zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und der Putzfrau ist groß genug, dass sie ihn nicht mehr Arschloch nennen wird. Gleiches gilt für den Abstand zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und den Eigentümern. Aber wie soll man die Distanz zwischen der Putzfrau und den beiden Oligarchen bemessen? Wenn schon der Abstand zwischen ihnen und der politischen Spitze des Landes so ungeheuerlich ist, dass man nicht lange nachdenken muss, wer beim Kaffeetrinken der Frau Merkel mit Liz Mohn und Friede Springer wem Vorgaben macht?
Der Großvater der beiden erlangte sein Vermögen anfänglich durch den Verkauf von Uniformen im ersten Weltkrieg, war also ein klassischer Kriegsgewinnler; dann setzte er auf Rüstungsindustrie und profitierte noch einmal gewaltig vom nächsten Krieg, Zwangsarbeit und Arisierungen eingeschlossen. Die Interviewer sind natürlich angemessen devot und fragen nicht danach. Als wäre mit den Abgaben an die Stiftung für Zwangsarbeiter alles Blut fortgewaschen.
„Wir wissen, dass Umverteilung noch nie funktioniert hat“, äußert Frau Klatten und übergeht damit nonchalant die Tatsache, dass der Vermögenszuwachs in Höhe von 22,5 Milliarden im Verlauf der letzten zehn Jahre durchaus etwas mit Umverteilung zu tun hat, in diesem Fall nur von unten nach oben. Die Liste ist lang; Steuersenkungen für Kapitalerträge, Rentenkürzungen, Druck auf die Löhne durch die Hartz-Gesetze… Während immer mehr Rentner nach Pfandflaschen graben, der Anteil der Niedriglöhner in Rekordhöhe steigt und der Anteil der unteren Hälfte der Gesellschaft am Gesamtvermögen sich der Null annähert, hat sich das finanzielle Polster des Quandt-Klatten-Klans beinahe verdreifacht.
Die Wahrnehmung, die diese Herrschaften von der Gesellschaft haben, zeigt sich in folgenden Sätzen von Susanne Klatten: „Gerecht ist, wenn jeder nach seinen Fähigkeiten Chancen wahrnehmen und sein ganzes Potenzial entwickeln kann. Und wenn man das aktiv wahrnimmt, dann können viele Menschen sehr weit kommen. Unser Potenzial offenbart sich nun mal in der Rolle, ein Erbe angetreten zu haben und es zu entwickeln.“
Man muss da genau hinhören. Sie hält die Gesellschaft für gerecht, so wie sie ist, und sie meint, so hätte jeder die Chance, ‘sein ganzes Potential zu entwickeln’. Das werden die zwei Millionen Kinder , die unter Hartz IV existieren müssen, mit Freuden zur Kenntnis nehmen. Denn, so ihr Bruder Stefan Quandt an anderer Stelle, „Mutlosigkeit symbolisiert Passivität. Wer mutlos ist, nimmt das Heft des Handelns nicht in die Hand. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft muss man sich aus einem solchen Stadium unbedingt herausarbeiten.“
Nun, wären die Armen dieses Landes weniger mutlos, dann wären die Quandts nicht so reich. Wollte man wirklich eine Gesellschaft, in der jeder ‘sein ganzes Potential entwickeln’ kann, dann dürfte es keine Oligarchen geben. Kaum anzunehmen, dass es den beiden gefällt, würden sich größere Massen daran machen, genau das umzusetzen. Die zwei gehören zu den politischen Großspendern dieser Republik, und die Politik erfolgt ja auch weitgehend in ihrem Interesse.
„Viele Menschen denken, das fliegt einem irgendwie zu,“ klagt Frau Klatten. ‘Zufliegen’ ist vielleicht nicht ganz der passende sprachliche Ausdruck, ‘mit goldenem Löffel im Mund geboren sein’ trifft es wohl eher. Daran ändert auch die ausführlich ausgebreitete Tätigkeit im Aufsichtsrat nichts – denn es bleiben die Früchte der Arbeit anderer. Mehr noch, würden sich die beiden darauf konzentrieren, das Geld, das ihnen zufliegt, auszugeben, in materielle Güter umzusetzen, und sei es in ein zweites nachgebautes Versailles auf irgendeiner bayrischen Insel, dann würde dieses Geld vermutlich weniger Schaden anrichten, als wenn es immer weiter investiert wird, um immer weitere Profite anzuhäufen.
Die Interviewer, deren Lebensstandard auf halber Strecke zwischen der Putzfrau und dem Vorstandsvorsitzenden liegen dürfte, fühlen sich zutiefst geschmeichelt, dass man sich herablässt, mit ihnen zu reden, und verkehren in einem kurzen Videoclip über diese Ehre auch gleich grundlegende ökonomische Tatsachen. Ohne das Kapital der Quandts gäbe es diese vielen Arbeitsplätze in den Firmen nicht, sagen sie. Dabei läuft das Spiel anders herum; ohne die lebendige menschliche Arbeit gibt es kein Kapital. Nichts von dem, das da geschaffen wurde, haben die Quandts geschaffen; sie haben nur schaffen lassen.
Es würde ja keiner wirklich mit ihnen tauschen wollen, deutet Frau Klatten an. Da mag etwas dran sein. In einer sozial tief gespaltenen Gesellschaft ist der Reichtum ebenso eine Gefangenschaft wie die Armut; denn wer würde sie schon offen und ehrlich als Arschloch titulieren? Damit werden auch die Bekundungen von Zuneigung fraglich, und es findet sich niemand mehr, der an irgendeiner Stelle irgendwelche Grenzen zu setzen vermöchte. Ein Reichtum solchen Ausmaßes steht über dem Gesetz und außerhalb jeder sozialen Beziehung. Aber sollte man deshalb Mitgefühl empfinden? Weil sie noch nie am Monatsende knapsen mussten oder schlaflose Nächte hatten, weil sie die Stromrechnung nicht zahlen können?
Im Gegensatz zu den Armen, den oben erwähnten Kindern beispielsweise, hätten diese beiden Opfer des Erbrechts jederzeit die Möglichkeit, diese Rolle abzustreifen. Es gab einmal Zeiten, in denen Angehörige einer solchen Klasse ihr Vermögen aufgaben und in Klöstern verschwanden. Es gibt kein Gesetz, das es untersagt, Reichtum aufzugeben (und da rede ich nicht von verkaufen). Es wäre legal, den ganzen Betrieb der Bevölkerung zu übereignen.
Nein, die Quandts tragen lieber weiter ihr schweres Kreuz von eineinhalb Millionen täglich. Sie mühen sich auch schon fleissig, es möglichst um Steuern ungemindert an die nächste Oligarchengeneration zu übertragen, und nutzen die Gelegenheit gleich, um Stimmung gegen Erbschaftssteuern zu machen. Es könnte ja sonst geschehen, dass Araber oder Chinesen Anteile von BMW erwerben, wenn Teile verkauft werden müssten, wegen der bösen Erbschaftssteuer.
Sie wollen nur Anerkennung dafür, dass sie ihre goldenen Löffel so sorgsam hüten. Und Mitgefühl für die schwere Last, die sie schultern müssen.
Da weiß man wirklich nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll.
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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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