Ein Kommentar von Susan Bonath.
Das Verbot der Internetplattform »linksunten. Indymedia« wird vielfach bejubelt. Doch bei aller Kritik: Gegen wen geht es wirklich und war das Vorgehen nur der Auftakt für weitere Repressionen?
Sieben Wochen nach dem G20-Gipfel in Hamburg hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière zum Schlag gegen Linke ausgeholt. Der CDU-Mann, dessen mögliche Verwicklungen in den Sachsen-Sumpf nie aufgeklärt wurden, hat mit »linksunten.indymedia« eine der wichtigsten Plattformen der Szene verboten. Springers Welt bezeichnete das Portal als »Hassmaschine gegen Staat und Polizei«.
Der Jubel durchdrang nicht nur Politik und Medien. In der Tat: »Linksunten« war in mancher Hinsicht zu kritisieren. Jeder konnte anonym etwas auf der Seite verfassen. Viele Autoren scherten sich wenig um das Presserecht. Hier und da fanden sich Aufrufe zu Angriffen auf Jobcenter, Bundeswehr- oder Polizeiautos. Linke Demonstrationen wurden angekündigt, diverse Bekennerschreiben tauchten auf.
Einmal waren eine Zeitlang zum Beispiel Adressen von AfD-Politikern auf der Seite zu finden. Allerdings hatten die dort Geouteten, die sich immerhin kraft ihrer Funktionen selbst einer gewissen Öffentlichkeit ausgesetzt hatten, zuvor auch nicht gerade friedlich gegen bestimmte Menschengruppen agiert. Trotzdem muss ein Kampf gegen politische Gegner anders ausgetragen werden. So weit, so gut.
Die andere Seite ist: Auch zahlreiche gut recherchierte Analysen und Berichte waren dort zu finden. Autoren deckten etwa die Zusammenarbeit von sächsischen Polizisten mit einer Neonazikameradschaft auf. Chats wurden veröffentlicht, in denen Beamte NPD-Größen und militante Faschisten vor Einsätzen warnten und Interna ausplauderten. Das rief sogar die Staatsanwaltschaft auf den Plan, gegen Polizisten zu ermitteln.
»Linksunten« nur eine Plattform. Dass jeder erst einmal ungeprüft alles verfassen konnte, hatte Vor-, aber auch viele Nachteile. Neben Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, Linksautonomen tummelten sich dort zuweilen auch sogenannte »Antideutsche«. Zwar verkaufen sich diese als »links«. Doch bereits ihre proimperialistische Ausrichtung und die Verteidigung des kapitalistischen Systems führt dies ad absurdum. Selbst Neonazis versuchten dort mehrfach, der »linken Szene« diverse Taten unterzuschieben.
Das Gemetzel kennen wir von Facebook. Hetzjagden gegen politische Gegner oder unliebsame Menschengruppen in weit schlimmerem Ausmaß sind dort keine Seltenheit. Viele nutzen das Netzwerk für Aufrufe zu Aktionen. Hassplattitüden finden sich dort genauso wie gute, differenzierte Beiträge. Käme einer deshalb auf die Idee, Facebook zu verbieten? Im Gegenteil: Das Geschrei wäre riesengroß.
Man muss tiefer schauen, was de Maizière und seine Politikfreunde damit bezwecken. Wollte man Verstöße gegen Pressestandards ahnden, müsste man solche für das gesamte Internet einführen. Unmöglich. Zweitens hätte man in Einzelfällen gegen die Betreiber viel früher vorgehen können. Ist man aber nicht.
Hinzu kommt: De Maizière hatte das Verbot offenbar mit einer Lüge untermauert. Er hatte behauptet, die Polizei habe bei den Betreibern »Messer, Schlagstöcke, Rohre und Zwillen« gefunden. Wie »Netzpolitik.org« am Wochenende unter Berufung auf das Innenministerium indes berichtete, stammten die Gegenstände aus seinem selbstverwalteten Kulturtreff in Freiburg. In dem ehemaligen Betriebswerk der Deutschen Bahn sollen Dutzende Räume frei zugänglich gewesen sein.
Es geht um mehr. Es geht darum, ganz bestimmte Ansichten zu unterdrücken. Ansichten, die das kapitalistische System und das Gewaltmonopol seines bürokratischen Verwaltungsapparats in Frage stellen. Ansichten, die Springers Welt »Hassmaschine gegen Staat und Polizei« nannte. De Maizière sagte, »linksunten.indymedia« sei »die bedeutendste Plattform für gewaltbereite Linksextremisten in Deutschland«. Mit »linksextrem« meint der frühere Sachsen-Sumpf-Minister ganz sicher nicht die kapitalismus- und staatsfreundlichen »Antideutschen« sondern ihren Gegenpart: Antikapitalisten.
Unabhängig von aller angebrachten Kritik an dem Portal bleibt ein Schlag gegen die freie Äußerung der Meinung übrig. Es bleibt ein Schlag gegen Organisierung, gegen Mobilisierung, gegen Vernetzung und Gegenwehr gegen Krieg, Unterdrückung, Armut, Ausbeutung. So entledigen sich die Repressionsorgane des Staates ihrer Widersacher. Widersacher ist nun mal, wer die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse in Frage stellt.
Es bleibt abzuwarten, wer oder was als nächstes verboten wird. Zu befürchten ist: Die Schläge gegen jeden Widerstand von unten werden zunehmen. Es herrscht Klassenkampf – von oben.
+++
Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
+++
Alle weiteren Beiträge aus der Rubrik „Tagesdosis“ findest Du auf unserer Homepage: hier.
+++
Dir gefällt unser Programm? Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten hier: https://kenfm.de/support/kenfm-unterstuetzen
Kommentare (0)