Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.
Die Meinungsfreiheit sei „schlechthin konstituierend für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung“ befand 1958 das Bundesverfassungsgericht. Während die Meinungsfreiheit in Deutschland ein Abwehrrecht jedes Menschen gegen Staatseingriffe ist, er muss nicht einmal Staatsbürger sein, geht die Garantie der „Pressefreiheit“ noch ein Stück weiter. Der Staat darf sich einerseits nicht in die Aktivitäten der Medien einmischen, aber er muss andererseits die Existenz der Institution „Freie Presse“ garantieren.
Ohne Meinungsfreiheit (besser ist der amerikanische Begriff Redefreiheit) keine Demokratie. Ohne funktionierende Medien kann die Meinungsfreiheit nicht zur gesellschaftlichen Realität werden. Der Meinungskampf, der Disput auf dem Marktplatz der Ideen, ist darauf angelegt, andere zu überzeugen, Anhänger zu gewinnen, die Wirklichkeit zu gestalten.
Mit der Meinungsfreiheit ist es wie mit der Demokratie. Klingt gut, ist in Wahrheit aber aus der Sicht der Herrschenden viel zu gefährlich, als dass man sie ernsthaft in Erwägung ziehen würde. Da ist Informationsmanagement gefragt. Wenn jeder mitreden darf, warum sollten dann die 99% akzeptieren, dass 1% fast alles besitzen? Wenn jeder seine Meinung äußern darf, dann gibt es keine Kontrolle, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Am Ende kommt dann das Wahlvieh noch auf die Idee, dass es keine Hirten braucht, sondern eigene Weidefläche. Und dann, Gott bewahre, taucht plötzlich beim Grasen in der Herde diese Idee von der Abschaffung der Schlachthöfe auf. Nicht auszudenken.
Da heißt es eingreifen. Zum Schutz der Herde vor sich selbst. Sagen die Hirten. Deswegen wird der Herde gebetsmühlenartig eingebleut, dass alle Entscheidungen von den Hirten getroffen werden müssen, weil die Herde damit überfordert sei. Die Herde darf nur auswählen, wie die Hirten heißen, die zum Schlachthof geleiten, wenn es um die Wurst geht.
Und damit keine aufrührerischen Ideen diskutiert werden, gibt es die realexistierenden Medien. Sie gehören Konzernen. Deren Hauptinteresse ist einerseits Geld und andererseits noch mehr Geld. Vielfalt der Ansichten, ein Meinungskampf, grundsätzliche Überlegungen sind da nicht so zielführend, es geht mehr um die Zementierung der bestehenden Verhältnisse. Die Bevölkerung erfährt: Die Verhältnisse sind wie sie sind: bestmöglich und alternativlos. Merkwürdig. Warum wurden ab dem 18. Jahrhundert in den Monarchien umstürzlerische Ideen diskutiert, die Wirkung hatten, aber seit dem Siegeszug der Demokratie nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr in der Demokratie?
Tja, warum nur? Grübelgrübelundstudier. Wenn ihr Vermieter die Mieterversammlung organisiert, die Diskussion leitet und dann noch die Entscheidungen der Mieterversammlung trifft, dann sollten sie sich nicht über steigende Mieten und sinkende Leistungen wundern.
Wenn die Medien Konzernen gehören, sollten wir uns nicht wundern, wenn diese eigene Interessen als Gemeinwohl darstellen. Und ihre Fußgängerinteressen in den Medien genauso wenig vorkommen wie ein echter Meinungskampf, ein brillanter Schlagabtausch voller Entschlossenheit und Eleganz zwischen echten Kontrahenten. Was uns die Konzernmedien und Funkhäuser stattdessen zeigen ist Wrestling der Billigklasse. Nur keine überraschenden Ergebnisse!
Eigentlich soll das anders sein. Hat das Bundesverfassungsgericht bestimmt. Es hat sich nach Kräften bemüht, eine gute Ordnung vorzugeben. Es hat sich in den 50er Jahren umgesehen und festgestellt, dass es hunderte Zeitungen gibt, wirklich alle politischen Ausrichtungen waren vertreten. Das war gut so, da brauchte man praktisch nicht viel tun, der Ist-Zustand war ok. Es gab Vielfalt und Ausgewogenheit. Auch der Staat hatte in der Presse so gut wie keinen Einfluss.
Und beim Rundfunk? Nun ja. Der war sündhaft teuer und technisch kompliziert. Den Rundfunk dem Markt zu überlassen, wäre gleichbedeutend mit der Zulassung eines Monopols gewesen. Es hätte also genau den Zustand erzeugt, den das Verfassunggericht vermeiden wollte und will. Es will den Meinungsmarkt, die Agora Athens, den Marktplatz wo jeder reden darf und wo öfter mal Sokrates vorbeikommt. Das wäre bei einem dem freien Spiel der Kräfte überlassenen Rundfunk unmöglich, entschied das Bundesverfassungsgericht.
Und: ständig musste und muss der Staat vom Verfassungsgericht daran gehindert werden, als Dirty Old Man mit seinen dreckigen Pfoten an der holden Medienfreiheit herumzufingern. Da gab es zum Beispiel Bundeskanzler Adenauer, der Staatsrundfunk einführen wollte. Die Bevölkerung sollte von ihm darüber informiert werden, was er so dachte und vorhatte und entschied. Sie sollte teilhaben an Konrads Weltsicht. Er plante die Deutschland Fernsehen GmbH als – „Ergänzung“ zur taufrischen ARD. Und die Deutsche Welle und den Deutschlandfunk. Allesamt auf Staatslinie. Konrad war in dieser Hinsicht mehr Putin, als der jemals wird sein können. Aber Konrad war ein lupenreiner Demokrat.
Das Bundesverfassungsgericht entschied. Deutsche Welle als Staatsradio? Na ja, ist gerade noch ok, weil die Deutsche Welle ins Ausland sendet und nicht für den deutschen Meinungsmarktplatz. Deutschlandfunk, auch noch ok, der sendete ja für die Brüder und Schwestern in der DDR. Fällt jemandem etwas auf? Wie ist das seit 1989? Über allen Wipfeln ist Ruh. In allen Sendern spürest Du kaum einen Hauch. Warte nur, Fragender, balde ruhest auch Du.
Aber die Deutschland Fernsehen GmbH wurde verboten. Und in dem Urteil stellte das Verfassungsgericht klar, dass der Rundfunk weder dem Staat noch irgendwelchen Grüppchen ausgeliefert werden darf. Er hat vielfältig zu sein, hat also das Spektrum der Meinungen wiederzugeben, er hat ausgewogen zu sein, sollte also die Verteilung der Meinungen der Stärke nach ungefähr wie in der Gesellschaft wiedergeben und er hat staatsfern zu sein, der Staat soll gefälligst seine Finger vom Rundfunk fernhalten. Damit das alles funktioniert, bekam der Rundfunk eine Art Parlament verordnet, in dem die gesellschaftlich relevanten Gruppen über die Einhaltung der Vorgaben wachen.
Das mit der Staatsferne funktioniert überhaupt nicht. Ständig muss das Verfassungsgericht dafür sorgen, dass der Rundfunk nicht von Politikern missbraucht wird. Das mit der Vielfalt klappt auch nicht, das Meinungspektrum im Rundfunk, aber auch in den Zeitungen ist mittlerweile viel enger als in der Bevölkerung. Das mit der Ausgewogenheit funktioniert auch nicht. Statt der Öffentlichkeit und dem Publikum nachzuspüren, seine Themen darzustellen, statt also den Marktplatz abzubilden und die Diskussion zu beflügeln, sehen sich die Medien als Erziehungsberechtigte für eine Bevölkerung, die ständig auf dumme Ideen kommt. Schlimm genug, dass all diese Leute wählen dürfen. Und eigentlich brauchen wir mittlerweile auch die Vorgabe der Konzernfreiheit. Die Freiheit wird von der Macht bedroht, und die existiert nicht nur in Form von Regierungen. Hat die übernationale Wall Street nicht mehr Einfluss als die z.B. die griechische Regierung? Oder die deutsche?
Das bedeutet Verhältnisse wie in der Weimarer Republik. Eine Demokratie mit Macht-Eliten, die keine Demokratie wollen, keine Vielfalt. Es gibt Oligarchiemedien, die die Interessen und Weltsicht der Eliten abbilden und koste es die Wahrheit, Stichwort Relotius. Es gibt einen Vorsitzenden des Deutschen Journalismusverbandes, Prof. Dr. FRANK ÜBERALL, der Vielfalt und Ausgewogenheit verhindern will, der durchsetzen möchte, dass RT keine Sendelizenz in Deutschland bekommt.
Stellen wir uns mal vor, was wir ohne RT über die Integrity Initiative wüssten – nichts, oder über Syrien – nur die Meinung der NATO Pressestellen, was wir über den Fall Skripal erfahren würden – das Informationsmanagement von Bellingcat und der NATO Militärgeheimdienste, oder über die Gelbwesten, nämlich dass in Frankreich die Reichsbürgerbewegung grassiert, wogegen Macron mit sanfter Geduld vorgehen muss und vorgeht. Das könnte also böse ins Auge gehen, wenn man Vielfalt will und RT abwürgt.
Wenn man die ARD abschalten würde, wäre das kein Problem für die Vielfalt und Ausgewogenheit, denn das ZDF liefert exakt das gleiche Meinungsglutamat-Fast-Food wie die ARD. Aber wenn man RT wegließe, fehlte ein wichtiger Teil des Spektrums, der nur dort vorkommt.
Könnte es sein, dass genau das erwünscht ist? Könnte es sein, dass es um die Sortenreinheit der Soße geht, die über die Bevölkerung ausgegossen wird? Könnte es sein, dass Relotius Überall ist?
Wenn man den Vermieter die Mieterversammlung dominieren lässt, dann sieht es ungefähr so aus, wie es jetzt in den Zeitungsverlagen und Rundfunkhäusern aussieht. Dabei ist die Grundidee des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks eigentlich richtig gut. Keine Beeinflussung durch Reiche, durch Eliten wie bei den meisten Zeitungen, deren Verleger nur selten zum Linksradikalismus neigen, keine Beeinflussung durch den Staat, statt dessen die fröhliche Sorge, dass der Marktplatz interessant ist und bleibt. Bunt und überraschend. So, dass man gerne hingeht.
Was wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk für eine tolle Sache, wenn er so wäre, wie er sein soll. Aber er ist es nicht. Er ist ein finanziell aufgeblähter Verein, mit der Politik verfilzt, die Bevölkerung verachtend. Die Hauptstadtbüros senden die Weltsicht der Hipster. Die wollen unter sich sein und bleiben, sie brauchen billige Hartz 4 Aufstocker, die ihre Taxis fahren, Catering ausliefern und die Büros putzen. Die dürfen gerne auch aus anderen Teilen der Welt herbeigeflüchtet sein, man ist very international und allen Individual und Sexualrechten gegenüber total aufgeschlossen, seit 2000 auch bei der Konrad Adenauer Stiftung. Aber alles, was nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit klingt, ist uncool. Spießig. Populistisch. Es ist wie bei Marge Simpson, als sie erfährt, dass die 8 reichsten Menschen soviel besitzen, wie der Rest der Bevölkerung: „Das ist ja total ungerecht. 2 der Reichsten müssten schwarz sein und 4 Frauen!“
An welcher Ecke des Mediensystems ist außer dem leisen Bröseln des Verfalls Bewegung zu verspüren? Bei den Alternativmedien! Da sind Journalisten aktiv, die Journalisten sein wollen. Die Hierarchien sind flach. Die Staatsferne hat die Dimension eines Kontinentalgrabens. Das Primärinteresse der Akteure ist senden und schreiben, nicht privatwirtschaftlichen Gewinn zu erzielen. Das eingenommene Geld dient dazu, den Sendebetrieb aufrecht zu erhalten.
Wir sollten also damit rechnen, dass die Relotiusmedien, deren Publikumszahlen schwinden, alles daran setzen werden, die nachwachsende Vielfalt, die sie als Konkurrenz betrachten, final zu entsorgen. Warum nicht auch eine Sendelizenz für KenFM und NuoViso einfordern. Juristisch? Da lässt sich doch sicher was drehen? Es gibt ja schon astreine Zensur-Durchsetzung in Facebook und Twitter und YouTube. Aber das geht noch besser.
So sieht es aus, wenn der Vermieter auf der Mieterversammlung über das Saalmikrophon bestimmt.
So wie es real aussieht in Medienhausen, ist nicht, wie es aussehen sollte und könnte. Man könnte den öffentlich rechtlichen Rundfunk dekonstruieren und neu aufsetzen. Man könnte einen Topf schaffen und die GEZ Gelder von der Bevölkerung verteilen lassen. Die Bevölkerung könnte darüber bestimmen, welches Medium seine Arbeit gut macht, sachlich richtig und kritisch informiert, unabhängig ist, wichtige Themen aufbringt usw. Die Chefredakteure und Intendanten könnten vom Publikum gewählt werden. Das würde dazu führen, dass die Führungskräfte der Öffentlich-Rechtlichen sich am Publikum abgleichen würden, statt an der Politik, der NATO-Großraumideologie, der Atlantikbrücke und der Regierungslinie.
Nicht auszudenken!
Was ist so furchtbar, wenn es einen Sender wie RT gibt, wenn es doch die Voice of America und die Deutsche Welle gibt? Insbesondere wenn ZDF, ARD, CNN, BBC, Süddeutsche, FAZ und Welt doch nur Decknamen für Voice of America sind. Was wäre so fürchterlich, wenn wir auch noch einen chinesischen und indischen Sender hören können? Oder wenn wir, Gott bewahre, in unseren Sendern Korrespondenten aus diesen Ländern hätten, die uns über die vorherrschenden Sichtweisen auf die Welt in deren Ländern informieren? Wann haben sie das letzte mal in einem deutschen Sender einen Chinesen über die chinesische Sicht der Welt berichten sehen? Oder drei Chinesen mit verschiedenen Ansichten, die aber alle typisch chinesisch sind? Sie würden sich wundern, was sie dann über die alternativlose Inervention in Libyen erfahren würden. Nicht auszudenken!
Wenn die Pressevielfalt mittlerweile so groß ist wie das vegane Bio-Angebot bei McDonalds, warum gibt es dann keine öffentlich rechtlichen Zeitungen? Wenn die Viefalt nicht mehr durch Konkurrenz hergestellt wird, wenn es in vielen Regionen nicht mal mehr zwei Zeitungen mit unterschiedlichen Meinungen gibt, warum stellen wir die Vielfalt nicht selbst her?
Wäre es nicht überhaupt besser, wenn wir ständig eine Meinungsvielfalt präsentiert bekämen, statt die Informationen nach unseren Ansichten in unserer Filterblase zusammenzusuchen. Wenn in Zeitungen verschiedene Interpretationen der Realität nebeneinander stehen würden? Verschiedene politische Ansichten? Wäre das nicht demokratischer, als das bestehende Klipp Klapp von Springer-Presse und Funke Medien Gruppe?
Wäre es nicht besser, wenn man die Realität des Mediensystems an den Anforderungen mäße, was es leisten soll, statt so zu tun, als ob es so, wie es ist, gut sei und immer bleiben solle?
Wie ist es möglich, dass sich der Medienbetrieb in seiner Meinung so verengt hat, dass Kritik mit immer der gleichen Verunglimpfung beantwortet werden kann? Wie ist es möglich, dass jeder, der nicht zufrieden ist mit dem realexistierenden Zustand mit den Etiketten Lügenpresse-Rufer, Verschwörungstheoretiker, Populist, Antiamerikaner und ähnlichem denunziert wird? Wäre es nicht ein Indikator für eine gesunde Pressevielfalt, wenn sich die Medien und Journalisten untereinander mit Schimpfworten belegten, statt das Publikum? Wäre es nicht ein Beleg für Ausgewogenheit, wenn die meisten eine Vielfalt konstatieren würden und sich der Rest gegenseitig in gleichem Maße beschuldigt, unausgewogen zu sein?
Wäre es nicht besser, wenn die Bevölkerung darüber bestimmen würde, ob die Medien ihre Aufgabe erledigen? Das Internet bietet große Möglichkeiten, die Ansichten der Bevölkerung in die Gestaltung der Medien einfließen zu lassen. Die werden überhaupt nicht genutzt. Stattdessen sind die Sender genau das: Sender. Ohne Empfangseinrichtungen. Und die Zeitungen sind nicht besser.
Wäre es nicht besser, es gäbe eine Dikussion darüber, ob unser Mediensystem seine Aufgabe erledigt, und wenn diese Diskussion, die zum Beispiel in den Öffentlich-rechtlichen Medien stattfinden könnte, Konsequenzen in der praktischen Durchführung hätte, und das regelmäßig, als Soll-Ist Abgleich mit Reperaturbetrieb?
Die Meinungs-und Pressefreiheit ist für die Demokratie zu wichtig, um sie Eliten zu überlassen. Freie Medien sind für eine Demokratie unverzichtbar.
Und Freiheit bedeutet dabei nicht, dass die mit dem meisten Geld und dem meisten Einfluss darüber bestimmen, was in den Medien präsentiert wird – sondern, dass der Marktplatz stattfinden kann und stattfindet.
Stattdessen ist Überall Relotius.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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