Tagesdosis 29.4.2019 – Globale Finanzmärkte: Die Fieberkurve steigt

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Wer die Kursentwicklung an den internationalen Aktienmärkten verfolgt, der kann sich zurzeit nur die Augen reiben. Nachdem es im Dezember zu den größten Einbrüchen seit 70 Jahren gekommen ist, scheinen die Kurse derzeit kein Halten mehr zu kennen: Seit Jahresbeginn haben sie zwischen 18 und 25 Prozent zugelegt und so den stärksten Vier-Monats-Anstieg aller Zeiten verzeichnet.

Damit setzen sie nach dem kurzen, heftigen Abschwung vom Jahresende den seit zehn Jahren andauernden Aufwärtstrend fort – und das, obwohl die Wirtschaftsdaten alles andere als positiv sind, es Dutzende von akuten Krisenherden gibt und die Welt zurzeit auf eine Rezession, also einen deutlichen Wirtschaftsrückgang, zusteuert. 

Es scheint fast, als interessierten sich Investoren überhaupt nicht mehr für das, was um sie herum passiert – und als gebe ihnen die Entwicklung der Börsen recht. Aber kann es tatsächlich so weiter gehen? Werden wir auf Dauer nur noch steigende Kurse sehen?

Wohl kaum. Was wir zurzeit erleben, ist mit einem Auto vergleichbar, dessen Fahrer den Motor zu kühlen versucht, indem er immer schneller fährt. Im Fall des globalen Finanzsystems hat der Dezember sogar bewiesen, dass die Bremsen des Autos bereits versagen und es kein Halten mehr gibt.

Hier der Hintergrund: 

Da die riesigen Geldsummen, mit denen das System nach dem Beinahe-Crash von 2007/2008 fast zehn Jahre lang am Leben erhalten wurde, hauptsächlich in die Spekulation geflossen sind, haben sich an den Aktien-, Anleihe- und Immobilien-Märkten gewaltige Blasen gebildet. Um deren Platzen zu verhindern, haben die Zentralbanken – allen voran die FED – vor einiger Zeit begonnen, ihre Geldpolitik zu straffen, also weniger Geld ins System zu pumpen, ihm teilweise sogar Geld zu entziehen und die Zinsen vorsichtig wieder anzuheben.

Das aber gefiel den inzwischen nach billigem Geld lechzenden Investoren nicht. Als die FED trotz der Kritik der Finanzelite bei ihrer Kursumkehr blieb und sogar eine Verschärfung ihrer Gangart ankündigte, warfen die Investoren ihr den Fehdehandschuh hin und zogen sich im Dezember 2018 in Scharen aus den Märkten zurück.

Die FED verstand die Warnung und reagierte umgehend: Kaum hatten die Kurse zu Weihnachten historische Tiefstände erreicht, verkündete sie, die Zinsen 2019 nicht wie geplant anheben und den Märkten schon bald kein weiteres Geld entziehen zu wollen. Mittlerweile hat sie sogar ihre Bereitschaft angedeutet, demnächst neues Geld ins System zu pumpen.

Die Investoren wiederum haben die 180-Grad-Wende der FED quittiert, indem sie wieder in die Märkte eingestiegen sind und sie auf immer neue Höhen getrieben haben. Das Wechselspiel zwischen den beiden Kontrahenten zeigt: Nicht die FED, sondern die internationale Finanzelite entscheidet darüber, wie es an den Finanzmärkten weitergeht.

Das aber kann mit Sicherheit nicht gutgehen, und zwar aus folgendem Grund:

Nachdem die Zentralbanken die Märkte zehn Jahre lang künstlich angetrieben haben, haben sich die Maßnahmen weitgehend abgenutzt. Daher werden die Zentralbanken im Rahmen der einsetzenden Rezession nicht umhin können, wesentlich extremer zu handeln als bisher, also erheblich größere Geldmengen als in der Vergangenheit zu schaffen und die Zinssätze deutlich in den Negativbereich zu senken. 

Das aber wird das Herz des Systems – die Geldschöpfung – treffen, denn mit Negativzinsen wird den Banken auf Dauer die Lebensgrundlage entzogen. Kein Bankensystem der Welt kann unbegrenzt mit immer weiter in den Negativbereich absinkenden Zinsen leben, ohne sich selbst zu zersetzen.

Aus diesem Grund befinden sich die Zentralbanken zurzeit in der Situation eines Arztes, der einem von schwersten Entzugserscheinungen bedrohten Drogensüchtigen auf dessen Verlangen hin noch mehr Drogen geben muss – mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass der Patient die Behandlung auf Dauer nicht überleben wird. 

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