Ein Kommentar von Pedram Shahyar.
Die Wahlen sind gelaufen, und eines ist klar: das Regierungslager hat massiv an Stimmen eingebüßt. Die Vorstellung, den Leuten geht es gut und sie wählen „weiter so“ entpuppte sich als eine Illusion. Kaum Inhalte und gar keine Spannung prägten diesen Wahlkampf. Der einzige Aufreger war die AfD. Die neue Rechte Bande zieht in großer Stärke in den Bundestag ein. Aber auch dies war zu erwarten gewesen und überraschte eigentlich keinen, der die politische Landschaft außerhalb seiner eigenen Echokammern kennt.
Interessant war allerdings, wie bestimmend die Themen der AfD kurz vor der Wahl waren. Die Medien haben einen wahren Hype um die Frage der Migration, Flüchtlinge und Islam erzeugt. Über 40% der Zeit des sogenannten Kanzler-Duells gingen um diese Themen. Fragen nach sozialer Gerechtigkeit oder friedliche Außenpolitik kamen fast nicht vor. Zufall? Es gibt nur zwei Erklärungen: es war ein temporärer Hype in den Medien, wo sie wie Lemminge einem Thema folgen, um es dann wieder fallen zu lassen. Oder es gab ein Interesse, um genau mit diesen Themen die AfD und ihren Diskurs stark zu machen. Haben wir es mit einem medialen tiefen Staat zu tun, der einen Rechtsruck des Parlaments herbeigetalkt hat?
Die AfD erfüllt für das politische System eine Doppelfunktion: Einerseits lenk sie die Wut der betroffenen Gruppen auf andere Teile der Unterklassen. Die Wut wird statt nach oben zur Seite gelenkt. Diese Umlenkungsfunktion ist offensichtliches Eliteninteresse am Rassismus. Die andere Funktion ist die Polarisierung und Bestimmung des Diskursfeldes: Die Mehrheit der Gesellschaft ist nun beschäftigt mit der berechtigten Empörung über Rassismus und 3. Reich-Verharmlosung von rechten Haudegen. Die Regierungspolitik gerät aus den Augen und aus dem Radar des Zorns. Die Polarisierung gegen die Rechten entlastet die Regierenden.
Auf der anderen Seite des Spektrums haben die Linken es nicht geschafft, stark zuzulegen. Dass Frau Wagenknecht sich zufrieden zeigt mit dem Ergebnis, zeugt nicht von einem notwendigen linken Kampfgeist gegen das immer unbeliebtere politische System: Wenn die beiden Regierungsparteien fast 15% verlieren, und Die Linke als Oppositionsführerin nicht mal 1% gewinnt, dann hat sie eigentlich keinen Grund zum Feiern. Gerade im Osten ist die Partei eingebrochen und hat massiv an Rückhalt verloren. Der Osten war aber das Rückgrat und die Seele der Linken. Hier scheint die Partei zu sehr in Regierungslogik zu sein, und zu sehr eine Verwaltungspartei und immer weniger ein Ausdruck des Wunsches nach Veränderung. Insgesamt hat die Linke es verpasst, der deutschen Gesellschaft ein hoffnungsvolles Bild für Veränderung zu präsentieren. Es reicht eben nicht, kluge Sätze in den Talkshows von sich zu geben, und immer wieder schlaue Reden im Bundestag zu halten. Um einen Aufbruch zu erzeugen, braucht es eine glaubwürdige Erzählung für einen Wandel. „Glaubwürdig für Gerechtigkeit“ ist ganz schön dünn, und vermittelt eher den Eindruck: „wir betteln besser für Euch“. Frau Wagenknecht verpasst es, eine wirkliche Systemalternative zu thematisieren und auf die Agenda zu setzten, aber das ist es, was gebraucht wird.
Wenn ein Bernie Sanders in den USA „Our Revolution“ auf die Fahnen schreibt, dann ist es zu wenig „glaubwürdig für Gerechtigkeit“ zu sein und ein besseres Steuersystem auszuformulieren. Wagenknechts Diskurs überschreitet nicht die sozialdemokratische Vorstellung der 70er Jahre. Das ist aber nicht zeitgemäß und die entscheidenden Fragen der Zukunft tauchen nicht auf. Wo war die linke Frage nach der Zukunft der Arbeit bei der anstehenden Digitalisierung und Automatisierung der Produktion? Wo war die radikale Forderung nach ökologischem Wandel und Überwindung der Produktion- und Lebensweisen, die unseren Planeten zerstören? Und allen voran: Wo ist das wirkliche Angebot für die Selbstaktivität von Menschen von unten? Schaut uns bei der Talkshow in den etablierten Medien zu, und wählt uns, damit wir für euch besser betteln? Sorry, das ist zu wenig, in Anbetracht der systemischen Krise, in der wir, die Weltgesellschaft stecken. Die Menschen nur als passive Masse zu betrachten, das ist die Logik der innerlich leeren Scheindemokratie.
Die großen Parteien der Regierungslager sind entsprechend dieser Krise eingebrochen. Am rechten Rand werden Antworten aus den 30ern angeboten, auf der Linken aus den 70ern. Es wird höchste Zeit eine wirklich politische Alternative zu diesem System zu entwickeln, die auf der Höhe der Zeit ist und eine neue Weltgesellschaft zum Mitmachen einlädt. Diese Alternative setzt aktive Bürger voraus, eine echte Demokratie, eine kollegiale und solidarische Kultur der Kooperation. Auf die Parteien ist kein Verlass. Machen wir es einfach selber. Seien wir die politischen Subjekte, seien wir die Veränderung, jeden Tag im Kleinen, und irgendwann im Großen. Gemeinsame schaffen wir das!
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