Ein Kommentar von Susan Bonath.
Seit Wochen zerfleischt sich das politisch agierende Kleinbürgertum wegen des Migrationspaktes der Vereinten Nationen (UN). Die Bundesregierung wird das rechtlich nicht einmal bindende Abkommen wohl absegnen. Die Fronten bleiben verhärtet. Rechtsaußen zetert, auch innerhalb der Partei Die Linke fliegen die Fetzen. Plump gesagt: Kipping-Flügel gegen Wagenknecht-Flügel. Ersterer will offene Grenzen und ist für den Pakt – aus angeblich „humanistischen“ Gründen – ; letzterer will sie dicht machen und ist folglich gegen den Pakt – um Lohndumping fürs deutsche Proletariat zu verhindern. Auf ihrer Klausur am Wochenende umschiffte die Partei eine klare Positionierung – um des lieben Friedens willen.
Doch der Frieden trügt. Die Anhänger des Lagers der Linke-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht werfen den Freunden von Partei-Co-Chefin Katja Kipping vor, sich mit NATO und Großkapital gemein zu machen. Offene Grenzen seien schließlich deren Bestreben, um die Bedingungen im deutschen Arbeitshaus zu verschlechtern. Selbst sich als Kommunisten Bezeichnende fallen in diesen Tenor ein. Umgekehrt werfen die Kipping-Anhänger den Wagenknecht-Freunden Nationalismus und eine inhumane Haltung vor.
Nun ja: Beide haben mit ihren Vorwürfen recht. Aber beide liegen insgesamt falsch. Die ganze Debatte ist in Wahrheit unsinnig, verwirrend, kontraproduktiv. Ein Linker sollte mindestens Humanist sein – und politisch progressiv. Der Migrationspakt ist beides nicht.
Denn diesem Abkommen wohnt bereits das Moment der Selektion in ökonomisch verwertbare und nicht verwertbare Menschen inne und dient – soweit hat die Wagenknecht-Front tatsächlich recht – den Interessen des Kapitals. Sich auf dessen Seite zu stellen, ist nicht progressiv, sondern reaktionär.
Doch auch die propagierte Gegenposition von Grenzschutz und Abschottung ist weder humanistisch noch fortschrittlich. Denn tatsächlich steht sie ebenso auf Seiten der herrschenden Klasse – genauer gesagt: Sie dient den Interessen nationaler Kapitalfraktionen in Deutschland, die sich vor der Konkurrenz global agierender Großkonzerne – aus ihrer Sicht zurecht – schützen wollen.
Zweitens ist es alles andere als humanistisch, zuvor ausgeplünderte Menschen vom geraubten Wohlstand auszuschließen. Drittens ist es nicht links, die unterdrückte Klasse der Lohnabhängigen nationalistisch und ethnisch zu spalten in Privilegierte und Ausgegrenzte.
Links wäre stattdessen das Bestreben, die arbeitende Klasse international zu solidarisieren, sie zum gemeinsamen Handeln gegen die Herrschaft des Kapitals zu bringen. Natürlich sind auch Forderungen nach einem Stopp von Waffenexporten oder Land-Grabbing, so hübsch zusammen gefasst als Bekämpfung der Fluchtursachen, links.
Mit Blick auf die Realität mutieren diese Forderungen jedoch zu leeren Floskeln, einem wortgewaltigen Ablasshandel gleich. Denn die herrschende Klasse, ob in Deutschland, den USA oder sonst wo, hat gar nicht das Interesse, Fluchtursachen zu bekämpfen, und die, die es fordern, nicht die Mittel. Sie müssten also zwangsläufig die Kapitaleigner und deren Staaten zunächst entmachten. Das wollen sie aber gar nicht.
Was dabei heraus käme, ist klar: Alles bleibt, aller holden Forderungen zum Trotz, wie es ist. Verelendete, perspektivlose Lohnabhängige sollen gefälligst bleiben, wo sie sind, damit das deutsche Proletariat ein wenig mehr an den imperialistischen Raubzügen der deutschen Bourgeoisie und ihres Machtinstruments, das Staats, partizipieren kann.
Aus all diesen Gründen kann ein Linker weder für noch gegen den Migrationspakt sein. Darum ist es reine Zeitverschwendung, darüber zu debattieren.
Mithin: Arbeitsmigration hat es im Kapitalismus immer gegeben. Schon Marx und Engels setzten sich damit im mittleren 19. Jahrhundert auseinander. Damals förderte beispielsweise England die Einwanderung verarmter irischer Arbeiter und benutzte sie dazu, die Löhne zu drücken und die Lage der gesamten arbeitenden Klasse im Land zu verschlechtern.
Arbeitsmigration hat Ursachen: Die kapitalistische – auch die heutige spätkapitalistische – Wirtschaftsordnung ist eine Klassengesellschaft. Sie basiert primär darauf, dass einer kleinen Gruppe der globalen Gesellschaft die wichtigsten Produktionsmittel gehören. Ziel dieser Kapitaleigner ist es, Profit aus Lohnarbeit zu pressen. Die übergroße Mehrheit aber verfügt über keine Mittel, die sie in den Kapitalverwertungsprozess profitabel einbringen könnte. Sie ist gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.
An die Nörgler: Kapitalisten beuten Arbeiter nicht etwa aus, weil sie per sé böse Menschen sind. Vielmehr befinden auch sie sich im Konkurrenzkampf gegeneinander. Wer nicht nach Maximalprofit strebt, was maximal mögliche Ausbeutung bedeutet, verliert. Der Insolvenzverwalter lässt grüßen.
Das Streben nach Maximalprofit führt zwangsläufig zur Kapitalkonzentration in immer weniger Händen. Die Zahlen belegen es. Anfang 2017 veröffentlichte die Organisation Oxfam einen detaillierten Bericht, wonach die acht reichsten Milliardäre so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der gesamten Weltbevölkerung. Anfang dieses Jahres wartete das linker Ideen unverdächtige Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit einer weiteren Analyse auf: Danach verfügen 45 Menschen in der BRD über so viel Vermögen, wie die Hälfte der Landesbevölkerung.
Die Entwicklung war zu erwarten. Wir schreiben immerhin das Jahr 73 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Einer derartigen Kapitalzerstörung folgt immer eine Phase von Wiederaufbau und entsprechender Konjunktur. Doch irgendwann ist der Markt gedeckt. Anders ausgedrückt: Kein Mensch braucht zehn Kühlschränke oder zwanzig Autos.
So rollen die Krisen immer heftiger über den Planeten. Kapitalanlage-Möglichkeiten schwinden. Der Konkurrenzkampf verschärft sich. Oben geht es um die Dominanz über profitable Produktionsmittel und Arbeitskräfte, unten um Jobs, Behausungen und das Überleben. Besonderheit heute: Rohstoffe schwinden, die Umweltzerstörung wird immer irreparabler.
Jeder weiß: Wenige Konzerne dominieren heute die Weltwirtschaft. Mit ihnen können kleinere Unternehmen nicht mithalten. Die Mär vom Tellerwäscher zum Millionär hat sich erledigt. Während immer gigantischere Mengen an Überproduktion vernichtet werden, um die Preise nicht zu drücken, greift auch der Staat immer tiefer in den Geldbeutel der Arbeiter. Denn Lohnarbeit ist die einzige Quelle der Profitschöpfung, der Staat beteiligt sich daran. Kaufkraft schwindet, die Gesamtprofitrate sinkt. Es ist ein Symptom des Kapitalismus, dass dessen Apologeten seine Krisen mit Mitteln zu lösen versucht, welche die Krise verschärfen.
Wer hier eine nationale Lösung sucht, hat offenbar zweierlei nicht verstanden: Erstens ist der Staat ein Instrument der herrschenden Klasse. Er hat die einzige Aufgabe, die Ausbeutung im globalen Arbeitshaus territorial zu managen. Zweitens funktionierte der Kapitalismus schon immer global.
Bereits die ersten großen Handelshäuser im 13. Jahrhundert akkumulierten Vermögen auf Basis der Ausplünderung fremder Länder. In noch brutalerer Manier folgten ihrem Beispiel die Ostindien-Kompanien um 1600. Und schließlich benötigte die Privatwirtschaft im Zuge der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert immer größere Mengen an Rohstoffen. Die lagerten und lagern nicht vor der Tür.
So international der Kapitalismus agiert, so international ist seine Herrschaft, so international ist die lohnabhängige Klasse, so international kann er nur beseitigt werden. Schon gar nicht wird es ein Ende geben in Zusammenarbeit mit seinen Organen, den Staaten, Staatengemeinschaften, nationalen und internationalen Instrumenten, ganz egal, welchen Pakt diese gerade schließen.
Denkwürdiger Weise propagieren beide Linkspartei-Flügel genau das. Sowohl die angeblich so linke Sahra Wagenknecht als ihre vermeintliche Gegnerin Kipping haben Rot-Rot-Grün auf ihrer Agenda. Man müsse nur mitregieren, dann gehe da schon was. Berlin, Thüringen und Brandenburg lassen grüßen. Diese Parolen unterscheiden sich kein Stück von denen der Rechten – von CDU über FDP bis hin zur AfD.
Kurzum: Es gibt keine humanen Weg im Kapitalismus, die Arbeitsmigration zu stoppen. Aus dem einfachen Grund: Die Herrschenden wollen sie nicht stoppen und benutzen sie, der Rest kann sie nicht stoppen, weil er nicht die Macht hat. Über konkrete Lösungen mache sich nun bitte jeder selbst Gedanken.
Ein sinnvoller Plan für eine Revolution gehört zu den ganz wenigen Dingen, die garantiert nicht als Konsumangebot im gigantischen Warenhaus des wankenden Marktes zu haben sind.
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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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