Tagesdosis 30.10.2017 – Neoliberale Agenda radikal (Podcast)

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Eigentlich wollte ich nichts mehr über die AfD schreiben. Das hat vor allem zwei Gründe: Nicht erst seit gestern führen CDU, CSU und SPD vieles von dem aus, was ihr Rechtsaußen-Pendant mit dem cleveren Namen »Alternative für Deutschland« vorgibt. Zweitens ist die AfD bei etlichen Journalisten bekannt dafür, dass sie gerne einen ganzen Pulk von Anwälten und Juristen gegen selbige in die Spur schickt, sobald sie etwas Unliebsames schreiben. In diesen Kreisen hat sie nämlich jede Menge Anhänger.

Doch Ignoranz hilft nicht. Die Partei selbst und die Medien sorgen behände dafür, dass die AfD stets im Gespräch bleibt. Während sie im Landtag von Sachsen-Anhalt zum Beispiel mit Zustimmung der CDU-Fraktion »linksextreme Lumpen« (Zitat: André Poggenburg) jagen will und sich in Dresden einmal mehr mit Pegida solidarisiert, erklärte die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion und frühere Goldman-Sachs-Studentin, Alice Weidel gestern in der »Bild am Sonntag« ihre Vision: Ab 2021 solle die AfD mitregieren. Dafür hat Weidel auch ein Vorbild: Margaret Thatcher, die »Eiserne Lady« aus dem britischen Königreich, Vortänzerin für die neoliberale Agenda im globalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts schlechthin.

Thatcher, so Weidel, habe Großbritannien übernommen, als das Land wirtschaftlich am Boden gelegen habe. Sie habe es »wieder auf die Spur gebracht«. »Mir imponiert ihre Biografie, das Schwimmen gegen den Strom, auch wenn es unangenehm wird«, zitierte das Blatt die AfD-Funktionärin.

Unangenehm wurde es in Großbritannien unter Thatcher jedenfalls nicht für die herrschende Klasse. Um so mehr ging es Millionen Lohnabhängigen an den Kragen. Radikale Kürzungen im Sozialetat ließen Massen im glorreichen Königreich verelenden. In London, Manchester und anderswo wachsen bis heute die Slums. Ganze Familien schlafen im Freien. Bettler bevölkern das Straßenbild. Der Niedriglohnsektor erlebte einen Boom, Zwangsarbeit für magere Sozialleistungen wurde wieder ins Gesetz gegossen. Arbeitsrechte waren Schnee von gestern – und sind es bis heute, nicht nur in Großbritannien.

Man kann es kürzer formulieren: Die »Eiserne Lady« war die Wegbereiterin für die Agenda 2010 inklusive Hartz IV in Deutschland, ja, für die massive Entrechtung der Lohnabhängigen in ganz Europa. In der beginnenden Kapitalverwertungskrise, 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, kurbelte Thatcher in Perfektion die brachiale Umverteilungsspirale von unten nach oben an.

Eine solche Agenda steht keineswegs im Widerspruch zum AfD-Programm. Hartz IV samt Sanktionen gegen die Ärmsten will die AfD nicht nur beibehalten, sondern auch eine Arbeitspflicht als »Gegenleistung« einführen. Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer sollen ganz weg, die NATO möge die Handelswege für deutsche Unternehmen frei »halten«. Und: An allen Ecken und Enden im Programm taucht der Gott des Kapitalismus auf: Marktwirtschaft, der sich alles und jeder gefälligst unterzuordnen habe.

Sicher: Derzeit wehren die großen Parteien ein Bündnis mit der AfD noch moralinsauer ab. Niemand gibt gerne öffentlich zu, dass er mit Parolen zum Beispiel des Dresdner Richters und frisch gebackenen AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier sympathisiert. Dieser »warnte« in bestem NSDAP-Sprech nicht nur einmal vor einer »Herstellung von Mischvölkern«. Auch die erinnerungsträchtigen Rassenreinhaltungs-Fantasien Höckes von »1.000 Jahre Deutschland, 3.000 Europa« sind äußerlich nicht mainstreamtauglich.

Anders sieht es offensichtlich in den Köpfen vieler altbewährter Parteikader aus. Verbale wie rechtliche Abwertung und Ausgrenzung bestimmter ethnischer und sozialer Menschengruppen prägt die deutsche Politik seit langem. Muslime werden allesamt als potentielle Terroristen dargestellt, Erwerbslose als faule Parasiten. Auch verarmten Rentnern und Obdachlosen schiebt man ganz offen die Schuld selbst in die Schuhe. Längst diskutiert man nicht mehr nur darüber, einst hart erkämpfte Arbeitsrechte abzuschaffen.

Man muss konstatieren: Ein Regierungsbündnis mit der AfD ist keine ferne Utopie. Die AfD-Agenda deckt sich in vielen Punkten mit jener der Etablierten. Erstere trägt sie nur radikaler vor und hält sich mit Pegida den außerparlamentarischen Arm warm. Gekonnt nutzt sie den kapitalistischen Konkurrenzkampf »jeder gegen jeden«, um auch unten zu ködern: Wir helfen euch, unliebsame »Mitesser« loszuwerden. Blickt nur nicht nach oben. In Zeiten, in denen das ewige Wirtschaftswachstum an seine natürlichen Grenzen stößt, sichern sich die Herrschenden immer ihre Pfründe. Opfer sind »unangenehm« aber einkalkuliert.

Angefangen hat es schon lange vor der AfD. Doch wo hört die neoliberale Agenda eines Tages auf?

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