Ein Kommentar von Susan Bonath.
Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will: Einer der ungewöhnlichsten und Aufsehen erregendsten Streiks in der bundesdeutschen Geschichte hat gezeigt, wie sehr die arbeitenden Schichten das Kapital zum Zittern bringen können. Könnten – denn deutlich geworden ist ebenso, und das nicht zum ersten Mal: Das Kapital und sein bürgerlicher Staat haben die Gewerkschaften leider gut im Griff.
Die Rede ist von der Motorblockgießerei »Neue Halberg Guss«. Mehr als sechs Wochen waren die rund 2.000 Arbeiter des Automobilzulieferers geschlossen im Streik. Die gesamte Produktion stand still. Mit allen Mitteln hatte der Unternehmenseigner Prevent versucht, die Belegschaften in den Werken Leipzig und Saarbrücken zur Aufgabe zu zwingen. Wochenlang biss sie sich an den Streikenden die Zähne aus.
Die Geschäftsführung wollte den Streik juristisch unterbinden lassen. Sie warf den Arbeitern öffentlich Sabotage vor, drohte mit Strafanzeigen. Sie setzte Prämien von 2.500 Euro für Denunzianten und Streikbrecher aus. Sie drohte mit sofortiger Werksschließung und bemühte sich redlich, West gegen Ost oder die Halberg-Belegschaft gegen Arbeiter von Abnehmerkonzernen, wie Opel und VW, auszuspielen – alles vergeblich. Fast täglich gab es Solidaritätsbesuche. Beschäftigte von anderen Betrieben übernahmen während einer Verhandlungsrunde zwischen Gewerkschaft und Unternehmen sogar die Streikposten.
Vor gut einer Woche hatten sogar 22 Halberg-Abnehmer einen verzweifelten »Aufruf zur Beendigung des Streiks« in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung inseriert. »Setzen Sie diesem Wahnsinn ein Ende«, klagten die Konzernchefs in Richtung der Streikenden. Sie gaben ihnen die Schuld für einen drohenden Produktionsstopp in ihren Firmen. Doch je mehr Schikanen auf die Arbeiter einprasselten, desto solidarischer zeigten sie »im Kampf gegen das Kapital« – wie sie es selbst nannten.
Hintergrund ist die von Prevent im April angekündigte Werksschließung in Leipzig zum Jahresende 2019. Knapp 700 Arbeiter wird das den Job kosten. In Saarbrücken will Prevent mindestens 300 weitere Stellen abgebauen. Besonders die älteren Kollegen dürften es schwer haben, einen neuen Job zu finden. Ihnen droht die Enteignung durch das Jobcenter.
Darum soll jeder Gekündigte vom Gewinn der Prevent-Gruppe einen Anteil bekommen. Die Streikenden fordern eine Abfindung von 3,5 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr sowie eine Transfergesellschaft, finanziert aus einem Treuhandfonds. Das Unternehmen bietet zwischen 0,4 und 0,6 Monatsgehältern.
Die Geschichte dahinter: Nach mehreren Eigentümer-Wechseln erwarb Anfang dieses Jahres die Prevent-Gruppe die »Neue Halberg Guss«. Die Eigentümerin weiterer Automobilkonzern-Vertragspartner liefert sich seit längerem einen harten Preiskampf mit Volkswagen. Auch für Halberg ist VW einer der Hauptkunden. Kurz nach dem Erwerb des Betriebs erhöhte Prevent die Preise für die Motorenblöcke drastisch. Als Volkswagen nicht mitspielen wollte, verklagten die Halberg-Eigentümer den Konzern erfolgreich wegen Vertragsbruchs. VW muss bis zum Ablauf des Vertrags blechen.
Doch Opfer ist Volkswagen in diesem Spiel keineswegs. Im Streben um Monopolstellung diktieren derart große Konzerne ihren Zulieferern die Preise und versuchen, sie zu drücken. Mit Arbeitern verfahren sie wie mit Schachbrettfiguren. Deren Bedürfnisse und die Existenz ihrer Familien sind für sie bedeutungslos.
Ein Gewerkschaftssekretär der IG Metall sprach gegenüber der Autorin von »einer bekannten Masche« der Prevent-Gruppe: »Erst kaufen sie die Firmen, dann ziehen sie alles raus und machen sie dicht – auf Kosten der Arbeiter.« Dies wolle man sich nicht bieten lassen.
Obwohl bei den Verhandlungen um einen Sozialtarifvertrag bislang nicht viel herausgekommen war, gab die IG Metall vergangene Woche nach. Sie bot Prevent eine Schlichtung an, die Geschäftsführung nahm an. Ab dem heutigen Montag läuft die Produktion weiter – vorerst, wie die Gewerkschaft betont. Man will offensichtlich die Kunden beruhigen. Und die Gewerkschaftskassen entlasten.
Schon jetzt ist klar: Allzu viel dürfte für die Belegschaft in diesem Streik wohl nicht herausspringen. Prevent zeigte sich bisher resistent gegenüber jeglichen Forderungen. Offenbar hat die Unternehmensgruppe von jener Art, die umgangssprachlich auch als Heuschrecke bezeichnet wird, mit dem Nachgeben der IG Metall gerechnet. Man könnte nun fragen: War der Streik sinnvoll?
Ja, war er. Doch ein anderes Problem wird sichtbar. Die IG Metall steht für Einzelkampf, der politische Entscheidungen in Sachen Stärkung von Arbeiterrechten nicht berührt. Alles andere wäre ein politischer Streik. Man brauche diesen nicht, da »es Mitbestimmungsrechte gibt«, betonte ein Gewerkschaftsfunktionär denn auch. Wichtig war der Arbeitskampf trotzdem.
Denn nur im Kampf lernt man kämpfen. Der Mut der Arbeiter der Neuen Halberg Guss war beeindruckend. Heute wissen sie ganz sicher: Es gibt sie noch, die Solidarität unter den Beschäftigten und die gemeinsame Abgrenzung von den Kapitaleignern – auch betriebsübergreifend. Diese Solidarität und der gemeinsame »Kampf gegen das Kapital« bestimmten unzählige Gespräche vor den Werkstoren, war Thema bei Streikversammlungen und Demonstrationen.
Vor allem aber wurde deutlich, wie abhängig nicht nur der einzelne Betrieb von Beschäftigten ist, sondern eine lange Kette von Abnehmern das große Zittern bekommt. Diese Zeitungsanzeige klang wie ein Winseln. Was ist da noch alles möglich? Eine solche wichtige Erfahrung muss verinnerlicht werden. Für die Zukunft. Damit sie nicht verpufft.
+++
Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
+++
KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
+++
Alle weiteren Beiträge aus der Rubrik „Tagesdosis“ findest Du auf unserer Homepage: hier und auf unserer KenFM App.
+++
Dir gefällt unser Programm? Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten hier: https://kenfm.de/support/kenfm-unterstuetzen/
Kommentare (15)