Tagesdosis 4.9.2017 – Die nächste Infusion… (Podcast)

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Viele leugnen heute die Klassengesellschaft. Selbst für manchen Linken ist Marx »Schnee von gestern«. Dabei liefern die täglichen Nachrichten Zeugnis vom permanenten Klassenkampf von oben. Pure Grundbedürfnisse, wie wohnen, essen und Energie, werden immer teurer. Derweil malochen acht Millionen Menschen für weniger als zehn Euro pro Stunde – Tendenz steigend. Eine politische Lösung bietet keine der Parteien mit Aussicht auf den Einzug in den Bundestag am 24. September.

Ein Begriff beherrscht die Schlagzeilen: Gentrifizierung. Gemeint ist die Vertreibung weniger Bemittelter mittels obszöner Anhebung der Mieten. In immer mehr Gegenden kann sich nur noch die »bessere Gesellschaft« das blanke Wohnen leisten. In Metropolen wie Berlin, Frankfurt und München sowieso.

In Kreuzberg zum Beispiel. Dort wehren sich aktuell Dutzende Mieter gegen ihre Vertreibung. Die Durchschnittsmiete liegt in dem Bezirk bereits bei mehr als elf Euro kalt. Dem sollen die letzten Nischen angepasst werden. Wer als Lohnabhängiger nicht privilegiert ist, kann sich das nicht leisten. Alternativen gibt es kaum. Doch auch in der Provinz geht es zur Sache. Im sächsischen Freiberg will die städtische Wobau Plattenbauten sanieren und die Preise drastisch anziehen. Es trifft die Ärmeren. Davon leben dort viele.

Das Fazit ist ernüchternd: Im Land, das kürzlich erneut Rekordüberschüsse im Export vermeldete, droht immer mehr Menschen die Obdachlosigkeit. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe dürften bereits mehr als eine halbe Million Bürger betroffen sein. Doch nicht nur das: Auch andere Grundbedürfnisse  werden teurer. Vor allem die Preise für Lebensmittel, Haushaltsenergie und Benzin sind erneut gestiegen.

Nun ist das Streben nach Rendite die Antriebskraft im Kapitalismus schlechthin. Beherrscher globaler Märkte verleiben sich mittlerweile Konkurrenten im Tagesgeschäft ein oder schalten sie aus. Sie bestimmen über Angebot und Preis. Mit kalkulierter Verknappung befeuern sie ihren Profit. Zu ihren Gunsten deregulieren die Regierenden seit Jahren den Markt und öffnen Tür und Tor für weitere Schweinereien.

Das ist die Zeit für hoch bezahlte »Ifologen«. Der Direktor des Münchner Ifo-Instituts Clemens Fuest durfte am Wochenende im Focus dem frustrierten Volk die Ideen der Herrschenden unterbreiten. Die lassen sich knapp umreißen: Gewerbesteuer weg, ermäßigter Mehrwertsteuersatz weg, alle Preisbremsen weg, Arbeitsrechte weg, kostenlose Bildung weg, Ideen von Grundrente und Vermögenssteuer weg, weiter so beim Sozialabbau.

Schuld an der Entwicklung sind keineswegs die Flüchtlinge, wie die AfD gerne behauptet. Sie sind nur ein Symptom der imperialen Hardcore-Außenpolitik zur Wohlstandswahrung der Besitzenden. Im krisenkranken Kapitalismus im Endstadium will Fuest – ebenso wie fast alle Parteien von rechtsaußen bis linksliberal – den »allheiligen« Wettbewerb befeuern. Das sagt er ganz klar. Übersetzt: Er will den Patienten mit allen Mitteln am Leben erhalten. Vermutlich notfalls auch mit Faschismus.

Keine Frage: Natürlich spekuliert die Wirtschaft auf die Flüchtlinge als Billigarbeitskräfte. Auch der Gedanke, sie als Kanonenfutter bei Wirtschaftskriegen einzusetzen, bescherte unserer Kriegsministerin von der Leyen schon feuchte Augen. Irgendeinen Nutzen müssen die Kollateralschäden vergangener Raubzüge bringen. Union, AfD, FDP und sogar SPD reden längst darüber: Wenn schon Humankapital, dann bitte nützliches.

Dabei teilen Flüchtlinge mehr mit einheimischen Outgesourcten, als die Quandts, Schaefflers, und Co. Beide Gruppen hat das globale System abgehängt. Mit oder ohne Asylbewerber: In einer Welt, in welcher der technologische Fortschritt die Produktionsverhältnisse längst überholt hat, während die letzten Ressourcen vor der Plünderung stehen, ist der Crash nicht aufzuhalten. Die imperialistischen Zentren werden die hausgemachten Probleme weder auf Dauer abschotten noch wegbomben können. Der Virus wütet seit Jahrzehnten im eigenen Land.

Anstatt das zu registrieren, klammert die Politik am Lohnarbeitsmodell des 19. Jahrhunderts. »Wirtschaft entlasten, Arbeitsplätze schaffen!«, tönt es aus allen Ecken. Ob CDU, SPD, FDP, AfD, die Grünen und in Teilen sogar die Linke: Sie alle spielen – fantasielos bis zur Ohnmacht und beraten von wahnsinnigen Chefökonomen – Doktor am Krankenbett des Kapitalismus. Die Kosten werden alle tragen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind. Wo sie geboren sind, spielt keine Rolle. Die Krise ist so global, wie das Kapital agiert.

Die Deutschen dürfen wählen. In drei Wochen wird man sehen, wer dem Kapitalismus in seiner deutschen Sektion die nächste Infusion legen darf. Opfer sind längst einkalkuliert.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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