Ein Kommentar von Rüdiger Lenz.
Das Wahldebakel der EU-Wahlen dominiert die Stifte und Tastaturen in diesem Land. Jetzt geht Andrea Nahles. Und wer darf jetzt wieder den Dreck wegkehren, den einst der SPD-Kanzler Gerhard Schröder so zahlreich hinterließ? Er hinterließ den Kriegseintritt einer Republik, die sich zuvor schwor, sich nie wieder an einem Krieg selbst zu beschmutzen. Man habe aus den beiden großen Kriegen gelernt, donnerte es tagtäglich aus der damals noch in Bonn residierenden Republik. Fehlanzeige. War eh ein idiotischer Traum. Oder die HartzIV-Gesetze, die die Plünderung der gesamten Arbeiterschaft vorausnahm. Sie machte dieses Land zum Niedriglohnland Nummer eins in Europa.
Der liebe alte Malocher, einst das Flaggschiff dieser roten Partei, heute sein Büttel, den er lieber links liegen lässt. Er ist zum Plünderungsobjekt geworden. Nämlich der der neoliberalen Politik – frei, freier, Neoliberalismus. Annegret Kramp-Karrenbauer, Andrea Nahles, Angela Merkel, Christian Lindner und wie sie alle heißen mögen, die derzeit die Speerspitze deutscher Politik darstellen, es sind Lachnummern, komplett überfordert mit einer Politik des weiter so. Denn weiter so, das ist ihr Schicksal, ihr Versprechen an uns und unseren nicht wieder wegzudenkenden Wohlstand. Und wir? Wir versuchen aus dem ganzen Gemisch an politischem Potenzial uns vorzumachen, das es doch noch geht, das wir sie doch noch dazu bewegen können, etwas für uns zu tun. Wir wählen deswegen aus Protest, oder wir wählen das Gegenteil, oder wir wählen gar nicht mehr.
Ziehen wir Bilanz. Ich sage vorweg: Hoffnung ist eine schlechte Strategie, aber ein guter Antrieb. Damit stehe ich sicher nicht auf dem Siegertreppchen, denn die meisten wählen aus dieser Hoffnung heraus das geringere Übel. Annegret Kramp-Karrenbauer, die CDU-Vorsitzende wird womöglich Angela Merkel beerben. Neulich mahnte sie an das allgemeine politische Gewissen und wollte die Meinungsfreiheit einschränken. Wir erinnern uns. Ein Youtuber haute kurz vor der EU-Wahl ein Video heraus, indem er der CDU ziemlich unverblümt ihr Unvermögen um die Ohren haute. Und so eine Wiederholung will die CDU-Vorsitzende nun verhindern. Die Kanzlerin sprach dann ein Machtwort und schwups, war der Vorschlag vom Tisch. Ich hingegen bin mir sicher, dass wir so ein Gesetz in schöner blumiger Manier bald bekommen werden. Angela mag zur Vorsitzenden persönlich gesagt haben: Du hast ja recht, aber so was posaunt man doch nicht in der Öffentlichkeit oder in der Fraktion aus. Das macht man hinter verschlossener Tür, setzt Lobbyisten darauf an und die kümmern sich dann um die richtigen Ergebnisse. Anne, das kriegen wir schon hin. Egal welche Hoffnung wir noch weiter in diese Finanzlobbyisten setzen, am Ende werden wir rationalisiert. Es ist offensichtlich, was da läuft und wohin das alles führen wird.
Es ist vergleichbar mit einem Schlachter, der in seiner Werbung verkündet, dass das Schwein sein Kotelett freiwillig und mit viel Liebe für den hungernden Menschen von seinem Körper abgetrennt hat und es nun weiter darauf warten will, dass es die Rouladen und den Saftschinken auch noch von sich abschneiden darf. Ach, es ist so glücklich, das Schwein und ohne Dich wäre es todtraurig. So in etwa funktioniert die Politik. Wenn man innerhalb der biologischen Systeme sein Leben ändert, dann ändert man es innerhalb der biologischen Systeme. Es ist egal, welches Schnippchen man dann versucht, zu schlagen. Es gewinnt dabei immer die Biologie. Innerhalb eines Systems gewinnt immer das System, denn egal was man innerhalb des Systems macht, meinetwegen sogar riesenhafte Kriege anzetteln, es gewinnt das System. Jedes System hat nur einen einzigen Zweck. Den Selbsterhalt. Ist ein System erst einmal als ein System etabliert, so wird es alles Erdenkliche tun, um sich selbst zu erhalten. Ob die SPD-Vorsitzende geht oder bleibt, ob die Kanzlerin nun Merkel oder Kramp-Karrenbauer heißen mag, ist dabei völlig ohne Belang. Das System wird sich dabei nur innerhalb seiner Fortsätze etwas verändern. Das System aber bleibt bestehen. Ergo: Egal wen man wählt, ob Partei oder Kanzlerin, man wählt das System.
Für einen logisch denkenden Menschen ist die Antwort eigentlich klar, eigentlich! Er würde das erkennen und einfach nicht mehr mitmachen. Er würde sich, so weit es geht, dem System durch nichtmitmachen entziehen. Doch das tun die Wenigsten. Der Grund liegt in der Hoffnung, die sie haben und im Selbstwertgefühl, das sie sich über die Jahre als Überzeugter homo politicus angeeignet haben. Der Mainstream ist die Normapathie, folgt man dem Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz. In ihr werden Irrationalitäten die Norm menschlichen Verhaltens. Alle haben für sich recht und sehen im Anderen den Feind, den es zu bekämpfen gilt. Denn wären die anderen wie ich, hätten sie alle den göttlichen Überblick, den ich ja habe, dann wäre alles gut und die Welt in Ordnung. Die Meisten kennen ja den Slogan, Offline ist das neue Online. Er zeigt, wie sehr sich Menschen in etwas verrennen können und dieses Verrennen dann den Menschen komplett erblinden lässt. Könnte das auch mit der Politik so sein? Ist die Politik eine Krankheit, an der in der Gesundung die Eigenverantwortung steht?
Ich stelle die Frage mal anders, etwas provokanter. Warum wollen so viele Menschen, dass ganz wenige Menschen über sie herrschen und ihnen sagen a) wie die Welt entstanden ist, b) was ihre Aufgabe darin ist, c) für wen sie zu arbeiten und was sie ableisten müssen, d) was überhaupt eine Arbeit ist und wie sie diese noch besser machen können, e) was sie wann und wie sagen dürfen und was nicht, usw. Dieser ganze politische Zirkus ist doch nur deswegen überhaupt da, weil wir ihre Möglichkeiten der Dressur darstellen. Und dann sagen die Normapthen dazu auch noch danke schön. Wie viele Menschen haben wirklich, ernsthaft und über eine längere Zeit schon mal darüber nachgedacht, ob wir diese Politiker und ihr System der Dressur noch brauchen? Politiker sind Erzieher der Massen für ein System, dass den Reichen, Schönen und Mächtigen dient. Alle anderen bekommen Brotkrumen und werden dazu verpflichtet, diese Krumen ordnungsgemäß zu sich zu nehmen. Wer da im Mülleimer bei Lidl, Aldi oder Penny nach den Resten sucht, der bekommt saftige Strafen aufgebrummt. Wie lange es wohl noch braucht, bis die Normopathen sich von der Norm lösen und endlich selbst zu leben lernen? Die politischen Speerspitzen der Parteien sind unsere Spiegel. Was wir in der Mehrheit wollen, das repräsentieren sie. Die Lüge, die wir selbst sind, kommt durch sie zum Vorschein. Das ist alles. Dann projizieren wir diese innere Lüge nach außen, schelten sie und sind äußerst befriedigt, wenn wir unseren inneren Dampf endlich losgeworden sind. Dabei aber treten wir auf der Stelle, kommen kein bisschen weiter und wundern uns, dass wir uns unsere Wünsche nicht erfüllen können. Wir erfüllen sie uns aber deswegen nicht, weil andere uns daran behindern. Das haben wir uns eingebrannt und glauben es. Meistens sogar zeitlebens.
Niemand behindert uns so stark, wie wir selbst. Das tun wir gerade deshalb, weil wir aus uns ein dressiertes Äffchen gemacht haben, dass nach Muttis oder Papis Pfeife tanzt. Deshalb kann Herrschaft existierten und über uns bestimmen. Die meisten Menschen denken immer bloß, dass die da oben sie beherrschen und sie nicht aus dem Hamsterrad kommen können. Das ist nicht ganz richtig. Entfernt man nämlich seine eigenen Anteile aus diesen Fängen, entfernt man sich aus den ganzen Fängen. Nur weil man dann plötzlich kein Konzept für das in eigener Verantwortung stehende Leben besitzt, ist man bequem und sucht lieber den Weg zurück oder hinein in die Systeme, die einen am besten beherrschen können. Für die einen ist es diese Demokratie, die Sehnsucht nach einem Kommunismus oder die in eine libertäre Welt. Hauptsache, die Wagenknecht ist nicht links genug, die Merkel nicht mittig genug, der Lindner nicht libertär genug, die Nahles nicht arbeiteraffin genug, und so weiter. Bestimme also dein Leben bloß nicht selbst. Auf gar keinen Fall. Denn dann könnte es ja sein, dass du die Feindbilder, die Projektionen und die Fremdverursachung nicht mehr für die eigenen Probleme missbrauchen kannst. Mecker weiter an den anderen herum, denke dabei das du die oder der Beste bist. Die Politiker werden es mit Wohlwollen entgegennehmen und ganz sicher mit deinen Steuergeldern ihr Leben finanzieren.
Gehören wir uns selbst oder gehören wir einer Regierung? Sag, wem hast du deine Stimme gegeben, damit du ihnen gehörst? Der Staat, das sind Autoritätsglaube, Herrschaftsannahme und Selbstaufgabe. Und diese drei sind ein Angebot, das unterschrieben werden will – durch die Teilnahme an der Wahl. Wenn jemand bei VW ein Auto kaufen will, dass sehr umweltschonend ist, dann wird der VW-Verkäufer dir sagen: Hier ist es, nur 45 Gramm CO2 auf einhundert Kilometer. Er wird dir nicht sagen, dass du besser Fahrrad fahren solltest, denn ein Fahrrad kommt nicht in seinem Angebot vor. Politiker werden dir niemals sagen: Das Beste ist, du lebst dein Leben, nicht unseres. Egal ob du jetzt dieses oder jenes sagst. Es sind Ausflüchte und Ausreden, warum du meinst, man könne ja nicht sein eigenes Leben leben. Es ist ganz leicht, zu beweisen, wenn du dir die Frage beantwortest, was das Teuerste und Wertvollste hier auf diesem Planeten ist. Die Antwort gilt für alle Lebewesen, nicht nur für uns Menschen. Es ist deine Lebenszeit. Egal was du tust oder wann du dahinter kommst. Am Ende deines Lebens kommt niemand daher und schenkt dir zusätzliche Lebenszeit, weil du nach 50 Jahren dahinter gekommen bist. Vielleicht wäre es an der Zeit zu verstehen, keine Politiker mehr zu wählen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wer der Überzeugung ist, dass wir keine äußeren Grenzen mehr brauchen, der sollte den zweiten Schritt auch gehen und keine inneren Grenzen mehr dulden. Erst recht nicht die eigenen inneren Grenzen. Der Saboteur in uns ist die politische Korrektheit. Sie ist wie ein Magnet, die uns nach ihr ausrichten lässt. Uns vereinen nicht politische Ideale. Uns vereinen innere menschliche Werte. Diese stehen im großen Widerspruch zu den Werten, die uns als die unseren im Namen der Demokratie, des Westens und der NATO vermittelt werden. Und dieses System wählt der Wähler, wenn er wählen geht. Menschliche Werte sind das nicht. Mitgefühl, Wertschätzung, Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft, Demut, Liebe, Zugewandtheit, Rücksichtnahme, Freiheit, Unversehrtheit, Frieden, Toleranz, Weisheit, Ehrlichkeit, Loyalität, Vertrauen, Verlässlichkeit oder Treue sind menschliche Werte. Und es gibt noch viele andere. Doch welche sehen wir durch die Politik repräsentiert? Raffgier, Hab- und Machtsucht. Auch wenn die Partei der Grünen 2021 die Kanzlerin stellen sollte, glaube ich nicht, dass die Strukturen der Politik sich dadurch schlagartig ändert. Daher stelle ich die Systemfrage und nicht die Parteifrage. In einem kaputten System kann man sich kaputte Teile sehr schön reden und glauben, man könne allein durch den Glauben, sie werden es diesmal bestimmt ganz toll machen, sich alles schön reden. Das kann auch noch weitere 50 Jahre so laufen, was ich eher annehme, als dass sich die ganz große Mehrheit der Wähler die Systemfrage stellen und dann beantworten.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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