Ein Kommentar von Rainer Rupp.
Zwanzig Stunden kreiste der EU-Berg auf Gipfelhöhe der Staats- und Regierungschefs Anfang der Woche. Nach schweren Wehen gebar er schließlich vier Mäuse für die neu zu besetzenden Top-Jobs in dem neo-liberalen Ausbeuter-Konstrukt, das sich hinter dem harmlosen und schönen Namen „Europäische Union“ versteckt. Eine dieser Mäuse ist die deutsche CDU-Spitzenpolitikerin Ursula von der Leyen.
Von der Leyen ist Teil eines Personalpakets, zu dem auch der belgische Regierungschef Charles Michel für den Posten als EU-Ratspräsidenten, die derzeitige Chefin des Internationalen Währungsfonds, die Französin Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank und der spanische Außenminister Josep Borrell als EU-Außenbeauftragter gehören.
Wegen ihres schneidigen Auftritts als Verteidigungsministerin und ihren Warnungen vor der „russischen Bedrohung“ ist sie im Volksmund unter anderem auch als „von der Leichen“ oder „Flinten-Uschi“ bekannt. Allerdings zieht der Unmut über ihre „Wahl“ quer Beet durch alle Gesellschaftsschichten große Kreise.
Es ist erst wenige Wochen her, dass Politiker und Medien mit viel Getöse für die Wahl zum „Europäischen Parlament“ als „Schicksalswahl“ getrommelt hatten. Europa stünde am Scheideweg in eine demokratische oder populistisch-autoritäre Zukunft, lautete das Mantra. Tatsächlich war die Wahlbeteiligung für eine Europawahl diesmal ungewöhnlich groß gewesen. Aber für Flinten-Uschi haben die Bürger ihre Stimme ganz bestimmt nicht abgegeben, denn sie stand gar nicht Diskussion. Interessant wäre die Antwort auf die Fragen, wie viele Prozentpunkte geringer die deutsche Wahlbeteiligung gewesen wäre, wenn Frau von der Leyen von Anfang an als Spitzenkandidatin präsentiert worden wäre.
Wieder einmal haben Millionen Menschen ihre Zeit mit Wählen verschwendet, nur um erneut wieder die Erfahrung zu machen, dass den bürgerlichen Politiker nicht das stets im Munde geführte Volkswohl am Herzen liegt, sondern nur ihre Karriere und der damit verbundene Zugriff auf die Staatsknete. Das ist damit gemeint, wenn die Prozedur der bürgerlichen Demokratie darauf besteht, dass der Abgeordnete nur seinem Gewissen und nicht seinen Wählern verpflichtet ist.
Wenn der Wähler erst einmal seine Stimme abgegeben hat, dann ist seine Meinung nicht mehr gefragt. Nur in diesem Kontext ist auch der klassische Spruch des SPD-Urgesteins Müntefering zu verstehen, der ganz empört die SPD-Wähler belehrte, dass sie von der Partei nicht erwarten könnten, dass diese ihre Wahlversprechen einlöst. Dieses Demokratieverständnis gilt nicht nur für Deutschland und die anderen Länder der westlichen Welt, sondern in besonders eklatanter Weise für die EU-Wahlen. Denn das EU-Parlament hat nicht einmal einen Bruchteil der Rechte der nationalen Parlamente. Es ist ein Scheinparlament mit einem Schein von Macht, was auch für die zu besetzenden EU-Spitzenpositionen gilt.
Die für diese Spitzenposition in Frage kommenden Politiker werden von den Staats-und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen in einem ausgeklügelten Postenschacher bestimmt. Dieser Schacher hat mehr mit dem politischen Feilschen zwischen orientalischen Scheichs als mit demokratischen Prozeduren gemein. Sogar das moderate „Magazine für Politische Kultur, Cicero“ titelte am 3. Juli empört: „Die EU ist keine Demokratie“.
Mit Fug und Recht fühlen sich die Wähler der Europawahl betrogen. Ihre Politiker haben ihnen vorgegaukelt, sie hätten ein Mitspracherecht. Aber vielleicht lernen sie daraus. Albert Einstein hat Dummheit definiert, wenn jemand immer wieder unter denselben Bedingungen das Gleiche tut und ein anderes Resultat erwartet.
Die Hoffnung besteht, dass Leute gar nicht so dumm sind, wie die Politiker glauben. Vielleicht ziehen sie Konsequenzen, was für die EU bedeuten würde, dass das längst angeschlagene Vertrauen in die EU vollends verloren ginge. Zugleich liefert das von den etablierten Parteien derzeit in Berlin und Straßburg inszenierte Trauerspiel den EU-kritischen Parteien jede Menge gute Munition frei Haus.
Aber nun nochmals zur Frau von der Leyen. Für Gegner des neo-liberalen EU-Konstrukts wäre die Frau als EU-Kommissionpräsidentin ein echter Gewinn. Wenn es früher üblich war, Politiker, die sich zu Hause unliebsam gemacht hatten, auf gut dotierte EU-Posten loszuwerden, erfüllt Frau von der Leyen in besonderer Weise eine weitere Qualifikation für den Job an der Spitze der EU-Kommission, nämlich ein hohes Maß von Inkompetenz. Dies hat die CDU-Spitzenpolitikerin in allen ihren bisherigen Ämtern, nicht zuletzt als Verteidigungsministerin unter Beweis gestellt.
Sie wäre auch eine würdige Nachfolgerin von Jean-Claude Junker. Der ist vor allem für seine besoffenen Auftritte bekannt geworden, aber auch für einen Moment verblüffender politischer Ehrlichkeit. Es war der Moment, als er in einem TV-Interview über die Bankenkrise auf die Frage, wie die Öffentlichkeit damals von den Politikern informiert wurde, gesagt hatte: „Wenn es schwierig wird, dann muss man lügen“.
Zu Junker’s Modus operandi hat sich Frau von der Leyen noch nicht offen bekannt, aber wie bei ihrem Amtsvorgänger im Verteidigungsministerium hatte es auch ihrer Doktorarbeit Ungereimtheiten gegeben, um es mild auszudrücken.
Der frühere SPD-Parteichef Martin Schulz hat ebenfalls schweres Geschütz gegen Frau von der Leyen aufgefahren: ist die „schwächste Ministerin der Bundesregierung. … Eine derartige Leistung reicht offenbar, um Kommissionschefin zu werden“, lamentierte Schulz.
Ihre CDU-Kollegen halten sich zurück, Frau von der Leyen direkt anzugreifen. Sie machen über Umwegen ihrem Ärger Luft. So hat der ehemalige CDU-Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz erklärt, dass sich heute die Bundeswehr „in einem katastrophalen Zustand befindet“. Implizit sagte Scholz damit, dass fünf Jahren von der Leyen-Misswirtschaft dafür verantwortlich sind.
EU-Gegner können daher hoffen, dass es mit etwas Glück Frau von der Leyen gelingen wird, die ohnehin bereits marode dastehende EU auf den Chaos-Modus der Bundeswehr abzusenken.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Alexandros Michailidis/ Shutterstock
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