Ein Kommentar von Florian Kirner.
Der Kampf um die nächste US-Präsidentschaft wird zwar erst im November des Jahres 2020 entschieden. Aber die USA leisten sich bekanntlich ein Kandidaten-Casting epischer Ausmaße. Und so beherrschen die Vorwahlen bereits drei Monate vor Beginn der Vorwahlen, im Januar in Iowa, zunehmend die Medienberichterstattung.
Das heißt: die Vorwahlen bei den Demokraten tun das. Bei den Republikanern gibt es vorwahltechnisch nicht viel zu berichten. Für sie wird Amtsinhaber Donald Trump erneut ins Rennen gehen.
Umso dichter gedrängt ist das Kandidatenfeld bei den Demokraten. Die ersten Fernsehdebatten mussten deshalb sogar zweigeteilt werden. Je zehn Kandidaten bestückten je eine Sendung, bevor sich das Feld einigermaßen lichtete und es gelang, die immerhin zwölf Kandidaten, die sich dann noch für die Debatte qualifizierten, in einem einzigen Format unterzubringen.
Unter denen sind einige alte Bekannte.
Da wäre zunächst Joe Biden. Er war der Vizepräsident unter Barack Obama und setzte sich aufgrund seiner landesweiten Bekanntheit und dank eines gewaltigen Unterstützungsfeuerwerks der liberalen Medien umgehend an die Spitze der Umfragen.
Bidens Hauptargument ist seine vermeintlich überlegene „Wählbarkeit“. Er habe die besten Chancen, im kommenden Herbst gegen Trump zu bestehen, sagen die Biden-Leute über Biden. Daran gibt es allerdings erhebliche Zweifel. Ein Gegenargument wäre Joe Biden selbst. Er ist berüchtigt für seine rhetorischen Patzer, seine Debattenauftritte wirken fahrig und wenig kohärent.
Sehr kohärent ist immerhin die politische Lebensleistung des Joseph Biden aus Delaware. Dieser Bundesstaat ist eine Hochburg der Kreditkartenindustrie. Die Kreditkarten der Chase Manhattan Bank und von Discover werden in Delaware ausgegeben, das USA-Geschäft der Barclaycard ist hier stationiert, auch die Bank of America und Citi unterhalten hier größere Kreditkartenoperationen. Gut die Hälfte des US-Kreditkartengeschäfts läuft über Delaware, das nur 0,3% der US-Amerikanischen Bevölkerung beherbergt.
Und so war es Joe Biden aus Delaware, der hartnäckig für eine Gesetzesänderung kämpfte, die es den Bürgern deutlich schwieriger machte, sich vor dem Konkurs zu schützen. Georg W. Bush setzte Bidens Plan dann 2005 durch – rechtzeitig, um in der 2007 einsetzenden Weltfinanzkrise zum Bankrott zehntausender Amerikaner beizutragen, nachdem die Privatverschuldung nicht zuletzt durch Kreditkarten extrem angewachsen war.
Erfolgreich war Biden bereits unter Bill Clinton mit einer „Criminal Justice Reform“, die für die Expansion der privaten Gefängnisindustrie und die massenhafte Einkerkerung vor allem schwarzer Amerikaner wegen lächerlicher Vergehen sorgte.
Auch außenpolitisch ist Biden eine sichere … Bank. Kein Krieg, den er nicht unterstützt hätte. Besonders schwer wiegt seine Zustimmung zum Irakkrieg 2003. Denn damals war Biden Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Senat.
Gegen den Irakkrieg gestimmt hat damals ein anderer Senator, der derzeit ebenfalls um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Demokraten ringt. Es handelt sich um Bernie Sanders, der übrigens bis heute gar nicht Mitglied der Demokraten ist, sondern unabhängig.
Bernie Sanders hatte bei der letzten Vorwahlrunde bereits Furore und Hillary Clinton das Leben schwer gemacht. Nun tritt er erneut an und seine Botschaft ist dieselbe geblieben. Er fordert eine politische Revolution gegen die Oligarchie der Mulitmilliardäre, Gesundheitsversorgung für alle, eine Abschaffung der Studiengebühren und ein Ende der Korruption in Washington.
Geändert haben sich allerdings die Rahmenbedingungen. Die Niederlage Hillary Clintons gegen Trump und die skandalösen Begleitumstände ihrer Kandidatur haben die Glaubwürdigkeit des demokratischen Parteiestablishments erschüttert. Gleichzeitig erleben die USA einen signifikanten Anstieg von Klassenkämpfen. Eine Welle von Lehrerstreiks geht durch das Land. Die Belegschaften von Walmart, Amazon und Disney haben sich deutliche Lohnerhöhungen erstritten – wobei die Unterstützung durch Bernie Sanders im Senat eine entscheidende Rolle spielte.
Insgesamt ist der Diskurs im Wahlvolk der Demokaten weit nach links gerückt. Das hat mit den zunehmenden Klassenkämpfen zu tun und mit Bernie Sanders spektakulärem Anlauf vor vier Jahren. Aber auch mit einer ganzen Reihe jüngerer Leute, die das Parteiestablishment in der Zwischenzeit herausgefordert haben.
Wie Alexandria Occasio-Cortez. Die arbeitete noch vor neun Monaten als Kellnerin in einer heruntergekommenen New Yorker Bar, ohne Gesundheitsversicherung und miserabel bezahlt. 2016 war sie jedoch als Freiwillige in der Sanders-Kampagne in die Welt des Aktivismus eingetreten. Sie forderte daraufhin ihrerseits einen Kongressabgeordneten der Clinton-Maschine bei Vorwahlen heraus, gewann und gewann anschließend auch die Wahl. Sie sitzt jetzt als jüngste Abgeordnete aller Zeiten im Kongress.
Alexandria Occasio-Cortez ist ein Shooting Star im politischen Amerika, ausgestattet mit einer riesigen digitalen Reichweite. In den jetzigen Vorwahlen unterstützt sie Bernie Sanders und gab das just bekannt, als der 78jährige Sanders nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus lag und seine Kampagne in ernste Schwierigkeiten zu geraten drohte.
Doch diesmal hat Sanders auch harte Konkurrenz auf dem linken Flügel. Denn mit Elisabeth Warren ist eine weitere Senatorin im Rennen, die als Progressive gilt. Warren hat sich als Verfechterin strengerer gesetzlicher Kontrollen der Wall Street einen Namen gemacht. Die ehemalige Harvard-Professorin hat ein schlagkräftiges Kampagnenteam aufgebaut. Wie Sanders hat sie sich verpflichtet, keine Spenden sogenannter Super-PACs anzunehmen. Das sind spezielle juristische Konstruktionen, um die Millionen der Konzerne in den Wahlkampf zu leiten.
Nur gestützt auf Kleinspender konnte Warren im letzten Quartal 24,6 Millionen Dollar einfahren. Vor ihr lag nur Sanders, der auf sagenhafte 25,3 Millionen kam. Weit abgeschlagen stand Joe Biden, bei dem die Sache mit den Kleinspenden nicht so richtig funktioniert, bei 15,7 Millionen Dollar. Seither hat er eine Trendwende verkündet und will nun doch wieder auf Super-PACs setzen.
Überhaupt bröselt Bidens Vorsprung langsam, aber stetig, während sich Warren und Sanders auf Platz 2 in den Umfragen abwechseln. Es ist sehr spürbar, dass in dieser Vorwahl ein progressiverer Wind weht als 2016.
Bernie Sanders treibt dabei das Feld mit seinen radikalen Plänen vor sich her. „Medicare for all“ heißt seine Parole, die den Zugang zu vernünftiger Gesundheitsversorgung zu einem Menschenrecht erklärt. Warren hat sich dem angeschlossen. Biden versucht, die wenig hilfreichen Gesundheitsreformen unter Obama hochzuhalten. In Sachen Studiengebühren fordert Sanders eine komplette Streichung der Schulden.
Sanders hat auch einen umfassenden Plan zum ökologischen Umbau der US-Wirtschaft vorgelegt, die unter Donald Trump eine Fracking-Party feiert. Sanders, ohnehin der Star der Jugend, fordert offensiv die Legalisierung von Marihuana und will alle polizeilichen Einträge diesbezüglich streichen lassen. Die Anwendung des Spionagegesetzes gegen Whistleblower will er beenden.
Sanders hat auch einen Plan vorgelegt, der die Arbeiter am Firmeneigentum beteiligen soll. Überhaupt ist die Sprache des Bernie Sanders ganz unerhört für die offizielle Politik der USA. Er spricht von der „Working Class“, der Arbeiterklasse und von „Workers Power“, Arbeitermacht. Er fordert eine Massenbewegung von unten, um die Macht der Oligarchen zu brechen. Streikende Arbeiter sind die VIPs seiner Bewegung.
Elisabeth Warren gibt sich ebenfalls kampfbetont. Sie erweckt den Eindruck, eigentlich zu sein wie Bernie Sanders, nur ein einige Jahre jünger und weiblich. Allerdings traf sie sich kürzlich auch mit Hillary Clinton, der sie schon 2016 die Stange hielt. Viele sind der Meinung, Bernie Sanders hätte die Vorwahl gewinnen können, wenn sich Warren vor der Wahl in Massachusetts öffentlich für ihn erklärt hätte, die dann knapp an Clinton ging.
Warren ist nun eine durchaus glaubwürdige Vertreterin einer antimonopolistischen Politik. Ihre Pläne sehen eine gerechtere Steuerpolitik vor, besseren Verbraucherschutz und eine Abkehr von der neoliberalen Handelspolitik. Aber sie sagt auch, sie sei Kapitalistin bis in die Knochen und hinter den Kulissen bedeutet sie dem demokratischen Parteiestablishment, dass es nichts zu befürchten habe, denn sie plane keine feindliche Übernahme der Partei.
Sanders dagegen sagt klipp und klar, dass er die Übernahme der Demokraten und deren Umbau zu einer Partei der Arbeiterklasse plant, und dass er Sozialist ist.
Dazu kommt die Außenpolitik. Warren ist mit einer kritischen Haltung zum ewigen Kriegskurs der USA bisher nicht aufgefallen. Selbst den letzten drei, exorbitant aufgeblasenen Rüstungshaushalten der Trump-Regierung hat Warren ihre Zustimmung als Senatorin gegegeben. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sie eine friedenspolitische Agenda verfolgen würde.
Sanders hat die Pentagon-Etats unter Trump dreimal abgelehnt. Er geisselt den Militärisch-Industriellen Komplex in jeder einzelnen Rede, er kritisiert die Besatzungspolitik Israels und den Rassismus der Regierung Netanjahu, sowie die Kumpanei der USA mit Saudi-Arabien. Sanders ist außenpolitisch zwar nicht über jede Kritik erhaben, aber unterm Strich ein glaubwürdiger, jahrzehntelanger Kritiker der imperialistischen Kriegspolitik.
Noch glaubwürdiger ist in dieser Frage nur Tulsi Gabbard, die die Kritik an den Interventionskriegen der USA zum Hauptpunkt ihrer Kandidatur gemacht hat. Als Offizierin der Nationalgarde war Gabbard selbst zweimal im Irak. Im Rennen um die Nominierung ist sie zwar weit abgeschlagen, aber es ist der auf sie gerichtete Hass der Clinton-Maschine, der ihr kürzlich wieder einen gewissen Auftrieb verschaffte.
2016 war Gabbard, wütend über die Wahlmanipulation gegen Sanders, aus dem Parteivorstand der Demokraten zurückgetreten, um in die Sanders-Kampagne einzusteigen. So etwas vergisst eine Hillary Clinton nicht. Und nachdem Gabbard seit Monaten in der clinton-nahen Presse durch den Dreck gezogen wurde, äußerte Hillary persönlich den Verdacht, Tulsi Gabbard sei eine Agentin der Russen. Diese irre Anschuldigung nahm Gabbard zum Anlass für einen Gegenangriff auf Hillary, die sie dabei als die „Königin der Kriegstreiber“ bezeichnete – und wie sich zeigte, entfaltet eine offene Konfrontation mit der Chefin des Hauses Clinton eine segensreiche Wirkung in den Umfragen.
Während die Vorwahlen derzeit nach einem Dreikampf zwischen Joe Biden, Bernie Sanders und Elisabeth Warren aussehen, gibt es noch weitere Kandidaten, die zumindest inhaltlich eine wichtige Rolle spielen. Neben Gabbard wäre da beispielsweise Andrew Yang. Die Kandidatur dieses Unternehmers aus dem Silicon Valley wäre insgesamt nicht der Rede wert, wäre nicht ein Bedingungsloses Grundeinkommen das Alleinstellungsmerkmal seiner Kampagne. Erstmalig hörten Millionen Amerikaner dank Yang von dieser Idee. Und sie scheint eine gewisse Popularität zu entfalten.
Chancenlos ist inzwischen Marianne Williamson. Die Bestsellerautorin, Unternehmerin, spirituelle Lehrerin und Aktivistin hatte es aber zumindest anfänglich auf die Bühne der großen Debatten geschafft und mit ihren Äußerungen über eine Rückkehr der Liebe in die Politik völlig außerirdische Perspektiven in den drögen Diskurs der US-Politik eingebracht.
Das galt auch für Jay Inslee, den Gouverneur von Washington State. Er hat seine Kampagne bereits beendet, aber sein erklärtes Ziel, Umweltschutz und Klimapolitik in den Wahlkampf hineinzutragen, hat er bravourös erreicht.
Natürlich gibt es im verbliebenen Feld neben Joe Biden aber auch noch weitere Vertreter der klassischen, middle of the road Politik der Demokraten seit Bill Clinton. Und selbstverständlich gibt es dabei auch in dieser Runde wieder einen, der sich als neuer Kennedy und jugendlicher Reformer zu inszenieren versucht.
Diesmal heißt der Mann, der diese unvermeidliche Planstelle besetzt, Pete Buttegieg. Er ist Bürgermeister der Stadt South Bend in Indiana. Er ist Veteran des Afghanistankrieges. Und er holt seit Beginn seiner Kampagne unglaubliche Summen an Wahlkampfspenden herein. Zuletzt erneut knapp 20 Millionen Dollar. Jetzt hat sich das Geheimnis gelüftet: Mark Zuckerberg, der Mogul hinter Facebook und Whatsapp, unterstützt Buttegiegs Kandidatur. Seine Wahlkampfmanagerin ist eine ehemalige Angestellte von Goldman Sachs. Die Medien lieben und feiern Bürgermeister Pete. Kurz und gut: das Übliche. In den Umfragen kommt der vermeintliche neue Kennedy über einstellige Ergebnisse bisher nicht hinaus.
Auch in der Trump-Administration sind übrigens inzwischen einige Leute von Goldman Sachs unterkommen. Und das macht eine Vorwahl bei den Demokraten, in der das Thema der sozialen Ungleichheit dominiert und Worte wie Arbeiterklasse und Arbeitermacht fallen, durchaus spannend. Denn viele Trump-Wähler sind enttäuscht, dass er entgegen seiner Versprechungen ebenfalls nichts für die ärmeren Amerikaner getan hat. Stattdessen hat Trump eine Steuerreform durchgeführt, die das reichste 1% massiv entlastet.
Andererseits boomt die Wirtschaft, die weiterhin mit billigem Geld geflutet wird, aber es ist die Frage, wie lange noch. Bei der Masse der Bevölkerung kommt von diesem Boom wenig an.
Nach aktuellen Umfragen stehen Trumps Chancen für eine Wiederwahl dennoch nicht schlecht. Zwar liegt er in der landesweiten Popularität zurück, aber in den entscheidenden „Battleground States“ wie Florida, Pennsylvania, Ohio oder Michigan sieht es aktuell gut aus für Trump. Und in den USA entscheidet nicht die Mehrheit der absoluten Stimmen, sondern die Mehrheit der Wahldelegierten, die die jeweiligen Bundesstaaten entsenden.
Schicken die Demokraten gegen Trump einen Clinton-Klon wie Pete Buttegieg oder einen Establishment-Veteranen wie Joe Biden ins Rennen, können sie es vermutlich gleich vergessen. Auch die professoral auftretende Elisabeth Warren dürfte Schwierigkeiten haben, die Masse der Abgehängten zu mobilisieren. Bei denen punktet bisher nur Bernie Sanders, der mit 26.000 Teilnehmern auch die bisher größte Kundgebung dieser Vor-Vorwahl auf die Beine stellte.
Aber das Rennen ist noch lang und wenn die Demokraten eines beherrschen, dann ist es die Manipulation ihrer eigenen Vorwahlen. Das führt zwar regelmäßig zu Katastrophenkandidaten wie John Kerry oder Hillary Clinton 2016, mit denen man zuverlässig die Wahl verliert. Aber scheinbar ist das immer noch besser, als jemanden ans Ruder zu lassen, der die Macht der Lobbyisten und die Diktatur der Oligarchen zu brechen droht.
Wie gesagt, es dauert noch drei ganze Monate, bis die erste Vorwahl in Iowa stattfindet. Aber schon jetzt ist deutlich, dass nur eines dazu führen kann, dass bei dieser Wahl etwas Vernünftiges herauskommt. Und das liegt außerhalb von diesem oft sehr albernen Vorwahlzirkus. Es wäre ein weiterer Anstieg der Klassenkämpfe in den USA.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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