Ein Kommentar von Mathias Bröckers.
Wie nennt man das, was die SPD-Mitglieder mit ihrem Votum für die GroKo gemacht haben ? Selbstmord aus Angst vor dem Tod könnte passen. Die SPD sei mit dieser Abstimmung “weiter zusammengewachsen” verkündete Parteichef Olaf Scholz und würde den “Prozess der Erneuerung” fortsetzen. Vor Neuwahlen und einer Neuaufaufstellung fürchtete sich die Partei aber offensichtlich wie der Teufel vor dem Weihwasser und flüchtet lieber mit dem alten Personal auf weitere vier Jahre in Merkels Küchenkabinett.
“Wie rasch altern doch die Leute in der SPD ! Wenn sie dreißig sind, sind sie vierzig; wenn sie vierzig sind, sind sie fünfzig, und im Handumdrehen ist der Realpolitiker fertig,” schrieb Kurt Tucholsky 1932 in der “Weltbühne”. Damals hatten die Realpolitiker der SPD für Hindenburg als Reichskanzler plädiert und die Einwände ihres linken Flügels und der Kommunisten – “Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler” – vom Tisch gewischt. Und kaum hatte man sich in der Nachkriegszeit wieder halbwegs aufgestellt musste der Nachfolger Tucholskys auf dem Chefposten “Berliner Schnauze” – Wolfgang Neuss – 1965 konstatieren: “Wenn man nicht haargenau wie die CDU denkt, fliegt man glatt aus der SPD.” Neuss wurde damals aus der Partei geworfen, weil er im Wahlkampf für die SPD dazu aufrief, die Zweitstimme der Deutschen Friedens Union zu geben, die für Abrüstung und Deeskalation des Kalten Kriegs eintrat.
Das wurde in der SPD nicht geduldet – und wird es auch heute nicht: der GroKo-Vertrag sieht denn auch eine Verdopplung des Rüstungsetats vor. Statt 37 Milliarden im Jahr sollen für die Bundeswehr jetzt 70 Milliarden ausgegeben werden. Da wundert es dann auch nicht, dass für Arme und Rentner, Arbeiter und Kleinverdiener, Bildung und Gesundheit – einst Kernkompetenzen der Sozialdemokratie – kein Geld da ist. Niemand weiß mehr, wofür die SPD noch steht – und niemand weiß mehr, wogegen sie eigentlich antritt. Die Großskandale der Großbanken in der Finanzkrise, der Großbetrug der Großkonzerne im Dieselskandal…
Ereignisse, bei denen eine sozialdemokratische Volkspartei ihre klassische Klientel da unten gegen die Raubtiere da oben verteidigen und damit hätte punkten können, gibt es wahrlich genug. Aber eine solche Volkspartei existiert nicht mehr, seit die SPD vor 20 Jahren auf den neoliberalen Zug aufsprang.
So hat es die Partei geschafft, in den letzten 20 Jahren die Zahl ihrer Wählerstimmen zu halbieren – und arbeitet jetzt unter Merkels “marktkonformer Demokratie” weiter an ihrem Abstieg. Es ist die Wiederkehr des immer Gleichen: wer nicht genauso denkt wie die CDU hat in der SPD einfach nichts zu suchen.
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