Tagesdosis 8.10.2018 – 50.000 Davids gegen Goliath

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Im Kampf um den Hambacher Forst haben Tausende Aktivisten nicht nur ein Stück Wald gerettet. Sie haben auch einen- wenn auch vorläufigen- Sieg gegen den Großkonzern RWE und den deutschen Gesamtkapitalisten errungen. Die Initiative »Hambi bleibt« hat mehr Menschen solidarisiert und mobilisiert, als gedacht. Für den Staat, der die Interessen aller Kapitalisten in Deutschland vertritt, wurde es wohl zu heiß. Allzu leicht hätte aus dem Protest- mehr denn je ist das offen!- eine starke antikapitalistische Bewegung werden können.

Halten wir fest: Der Hambacher Forst gilt als Symbol des Widerstands der Antikohlebewegung gegen die Umweltzerstörung durch die Energiemultis. Seit langem protestieren Aktivisten gegen die von RWE geplante Rodung eines Großteils des verbliebenen Waldgebietes zwischen Köln und Aachen. Rund 80 Baumhäuser errichten sie dort in den zurückliegenden sechs Jahren. Der Protest bleibt klein und kaum beachtet- bis RWE Nägel mit Köpfen machen will. Und dies ausgerechnet kurz vor dem anvisierten Kohleausstieg. Vielen ist klar: Es geht um privaten Profit der RWE-Großaktionäre, sonst nichts.

Den Staat weiß der Konzern zunächst hinter sich. Etwa in Form von Nordrhein-Westfalens seit 2017 amtierender Landesregierung unter Armin Laschet, CDU, und Joachim Stamp von der FDP. Kein Wunder: Es gibt auch finanzielle Verquickungen. Zum Beispiel kassiert CDU-Landtagsvize Gregor Golland neben seinen Diäten ein sechs-stelliges Jahresgehalt von RWE für eine Teilzeit-Nebentätigkeit.

In der Folge gehen zeitweise 3.500 Polizisten gegen zunächst 150 Waldbesetzer vor. Unter dem fadenscheinigen Vorwand, die Baumhäuser entsprächen nicht der Brandschutzverordnung, räumen sie teils brutal das Protest-Areal- im Auftrag des Staats für die Interessen des Energiekonzerns. Den Zorn von Zweiflern lässt das nur wachsen. Tausende stellen sich der Staats- und Konzernmacht entgegen. Ein junger Journalist stürzt in den Tod. Eine Demonstrantin verletzt sich bei einem Absturz schwer. Dann kündigen die Aktivisten eine Großdemonstration an. Die Polizei verbietet sie. Doch plötzlich kommt alles anders.

Das Oberverwaltungsgericht Münster verfügt auf einen Eilantrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland hin einen vorläufigen Stopp der Rodungen. Es brauche Zeit, viel Zeit, um alle Akten zu lesen, heißt es. Die Aktivisten jubeln. Land und Bund ziehen die Polizei-Hundeartschaften ab. Auch  in ihren Reihen hat es in den Wochen davor Kritik und Unmuts-Bekundungen gehagelt.

Der Konzern reagiert. Er ersetzt die Staatspolizei zunächst mit eigenen Sicherheitsleuten. Diese gehen am Freitag mit Schaufeln auf Aktivisten los. Ein Videomitschnitt dokumentiert den Angriff. Nun ermittelt die Polizei gegen die RWE-Privat-Rambos. Der Konzern muss passen, zieht seinen Sicherheitsdienst zurück. Schließlich kippt das Verwaltungsgericht Aachen auch das Demoverbot. Rund 50.000 Menschen feiern am Samstag im Hambacher Forst den Erfolg gegen Staat und RWE.

Im Rückblick kann man folgendes konstatieren: Der Staat als Gesamtkapitalist hat die Drecksarbeit für den Einzelkapitalisten RWE übernommen, um dessen Profit-Interessen durchzusetzen. Jedenfalls solange der Konflikt für ihn und seine Auftraggeber insgesamt ungefährlich erschien. Genau das haben die Massenproteste in Frage gestellt. Zunächst goutierte der Staat dann zwar, dass RWE private Schlägertrupps losschickt. Doch die sorgten selbst für solcherlei Empörung, dass er klein beigeben musste.

Eine Frage bleibt dennoch offen: Haben die Gerichte auf Anweisung des Staats gehandelt, dem offensichtlich daran gelegen ist, seine demokratische Maske in letzter Sekunde doch noch zu wahren und den Zorn in der Bevölkerung zu dämpfen? Oder waren die Entscheidungen der Richter bereits klitzekleine Widerstandshandlungen aus dem Apparat heraus?

Immerhin darf nicht vergessen werden: Auch im Staatsapparat arbeiten abhängig beschäftigte- wenngleich gegenüber einfachen Arbeitern meist ungleich finanziell besser gestellte- Menschen, denen mehr daran liegen müsste, die Erde für ihre Kinder zu erhalten, als ein paar Superreichen Maximalprofite zu sichern. Die vielleicht ahnen, dass der vom Staat gemanagte Kapitalismus genau dies nicht vorhat. Die womöglich große Angst haben, ihre Privilegien zu verlieren. Die manchmal schwanken mögen zwischen Opportunismus und Mut zur Veränderung, den die Hoffnung auf eine bessere Welt abverlangt.

Fakt ist: Wenn der Staat es bei zunehmender ökonomischer und ökologischer Krise schaffen sollte, Polizei, Militär und andere Beamte en masse gegen die Bevölkerung zu hetzen, wird die Mehrheit verlieren. Gleiches gilt, wenn es den Herrschenden gelingt, aus dem Konflikt »Unten gegen Oben« einen Pseudokampf der Kulturen zu inszenieren. Auf jeden Fall ist jedem Beamten zu danken, der aus eigenem Antrieb ein Stück zum Erfolg beigetragen hat. Das größte Lob aber gebührt den mutigen 50.000 Davids gegen Goliath.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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