Tagesdosis 9.4.2018 – Manipulieren und konditionieren

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Entsetzen in Münster: Ein Campingbus fährt in eine Menge. Zwei Menschen sterben, 20 werden verletzt, sechs davon schwer. Die Schlagzeile am Samstag ist wieder einmal schneller als es die Fakten sind. Für die deutsche Rechte ein gefundenes Fressen: Mit dem Zitieren des Merkel-Spruchs »Wir schaffen das« sendete die AfD-Adlige Beatrix von Storch ohne jeden Beleg eine eindeutige Botschaft: Die Flüchtlinge, die Ausländer, die Moslems steckten dahinter. Und irgendwie steckten sie hinter allem, ja, sie seien das Unglück der Nation, so die Suggestion. Die deutsche Volksseele kocht.

Genau so funktioniert Propaganda. Mit billigster Stimmungsmache sollen feste Feindbilder in die Köpfe der Massen implantiert, die Anhängerschaft vergrößert und hoch dotierte Posten im Polit-apparat gewonnen werden. Man will schließlich ans Ruder, um das System ein wenig im eigenen Interesse zu managen. Es funktioniert, auch wenn später bekannt wird: Der Täter war gar kein Moslem. Er war nicht einmal Ausländer. Sein Name: Jens R. – in Deutschland geboren, in Deutschland zum Mörder geworden. Doch das interessiert die wütende Volksseele nicht. Aggressionen bauen auf Emotionen, nicht auf schnöde Fakten. Ähnlich wie bei Attentätern. So wie sie das Leid ihrer Opfer nicht interessiert, instrumentalisierte Beatrix von Storch selbiges auf perfide Weise. Und sie weiß: Gesagtes bleibt auch dann in den Köpfen, wenn es später widerlegt wird.

Nun wäre es falsch, einseitig auf der Propaganda einer fundamentalchristlichen Adligen und ihrer aufstrebenden rechtskonservativen bis -radikalen Partei herumzureiten. Ähnliche Feindbilder hämmern Regierende und Politiker seit langem in die Hirne der Masse. Neben Ausländern und Moslems müssen dafür wahlweise Hartz-IV-»Faulpelze«, osteuropäische »Kindergeldabzocker« oder »Bildungsferne« herhalten. Um das Volk dazu zu bringen, nach unten zu treten, ist den Herrschenden und ihren Pressesprechern jedes Mittel recht. Das lenkt so schön von den eigenen Verbrechen der Kriegstreiber und Abkassierer ab. Es war schon immer das Mittel ihrer Wahl, Unterdrückte nach Nationalität, Glaube oder Hautfarbe zu spalten, auf dass die Gruppen einander hassen und sich bekämpfen mögen. Die Wahrheit kommt dabei immer zu Fall.

Dass die Gewalt in unserer Gesellschaft zunimmt, ist ein anderes Ding. Es ist niemals zu tolerieren, dass Menschen auf ihresgleichen losgehen. Doch mal ehrlich: Jeder Psychologe weiß, dass soziale Spannungen Aggressionen hervorrufen. Wo zu reinen Wirtschaftsfaktoren erklärte, vereinzelte Menschen die Hoffnung in die Zukunft verlieren, schrumpft das Selbstwertgefühl und steigt die Wut. Wer sich hilflos, allein gelassen und in die Enge getrieben fühlt, wer keine Hilfe erfährt, schlägt schneller zu. Das ist keine Entschuldigung. Gleichwohl ist Gewalt kein Merkmal einer einzelnen Ethnie oder Religion. Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht erst bei einem Attentat anfängt.

Gewalt ist es auch, wenn Menschen zum Beispiel mittels Hartz-IV-Repressionen zu funktionierenden Maschinen im Niedriglohnsektor gemacht werden sollen. Gewalt ist ein Arbeitsmarkt, hinter dessen Konzerntoren jede Demokratie und jedes Mitspracherecht des Malochenden am Profitinteresse des Unternehmers verendet. Gewalt ist das strikte Abarbeiten von Gesetzen ohne jede Empathie. Gewalt ist der ständige Konkurrenzkampf um ureigene Grundbedürfnisse wie Wohnen und Einkommen. Gewalt sind militärische Aufrüstung, Waffenlieferungen und Drohneneinsätze. Bereits ein Schulsystem, in dem Kinder für einen Markt abgerichtet werden, ist Gewalt. Auch mediale Häme gegen Minderheiten, Einzelne und Bewohner anderer Staaten ist eine Form von Gewalt. Menschen sind nun einmal keine Roboter. Sie reagieren immer in irgendeiner Weise auf erfahrene physische oder psychische Demütigungen.

Mord und Totschlag, Attentate und Anschläge lassen sich wohl niemals ganz ausschließen oder vollständig verhindern. Die gewaltsamen gesellschaftlichen Verhältnisse hingegen sind nicht unumstößlich. Ein Anfang wäre es, sich der wahren Ursachen für eigene Frustrationen bewusst zu werden. Nur ein Blick auf das Ganze macht es möglich, die emotionale Manipulation und strategische Konditionierung hinter der Propaganda elitärer Interessengruppen als solche zu enttarnen.

Ja, es passieren Attentate. Ja, es gibt auch in den unteren Schichten Mörder, Schläger, Vergewaltiger, Kinderschänder jeglicher Nationalität, jeglicher Herkunft. All die unschuldigen Opfer verdienen jede erdenkliche Hilfe und all unser Mitgefühl. Trotzdem geht allem ein Krieg voraus. Und der wird nach wie vor von oben gegen unten geführt.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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