Unser Problem ist nicht die Krise, es ist das Gefühl der Machtlosigkeit

Von Dirk C. Fleck.

Haltet die Welt bitte kurz an, ihr Mächte. Danke. Jetzt ist kurzfristig Ruhe im Karton. Herrlich. Lasst uns den Stillstand nutzen, lasst uns in Ruhe darüber nachdenken, was wir noch zur Verfügung haben, bevor der Rest auch noch den Bach runter geht. Denn Fakt ist, dass die Schöpfung von uns in jeder Sekunde geschreddert wird. Gnadenlos, gefühllos, sinnlos. 

Wer von euch kennt die Steigerung von tot? Niemand? Ich sag`s euch: AUSGESTORBEN! Ausgestorben im Anthropozän. Im vom Menschen gemachten Zeitalter, für das es in der Erdgeschichte keine Entsprechung gibt. In dem das Artensterben zum Alltag gehört. In dem sogar das Licht verschmutzt ist. In dem die Verdrängung der Natur das oberste Ziel der Menschheit zu sein scheint.

Also, was haben wir noch zur Verfügung? Setzten wir einen Preis für die Dienstleistungen der Natur am Menschen an, so wäre er heute trotz aller bisher gezeigten Zerstörungswut nach wie vor beträchtlich. Noch immer liefert die Natur uns jährlich einen Nutzen von 33 Billionen Dollar. In Form von Früchten, in Form von Wasser und in Form einer „CO2“-Wäsche, die von den Pflanzen vorgenommen wird.  Nach Schätzungen der Wissenschaftler Paul Hawken und Frederic Vester betrug der natürliche Kapitalstock einst 400 bis 500 Billionen Dollar. Aber noch immer stehen jedem Menschen auf der Welt pro Jahr 50 000 Dollar vom natürlichen Kapital zur Verfügung. Wenn wir nicht wollen, dass die Meere und Wälder ihre globalen Dienstleistungen, die bis jetzt jedem Menschen zugute kamen, demnächst für immer einstellen, müssen wir endlich lernen, dass es allemal besser ist, mit der Natur, als gegen sie zu leben. 

So einleuchtend das ist und so sehr Millionen von Menschen die Mechanismen des kapitalistischen Giersystems, unter dem sie extrem zu leiden haben, inzwischen durchschaut haben, so unmöglich scheint sich diese Forderung in der Praxis durchsetzen zu lassen. Die Begründung ist erschreckend: der globalen Finanzelite ist es nämlich einfach zu teuer, die Erde zu retten. Lasst mich an dieser Stelle Abraham Lincoln zitieren, den 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Er regierte von 1861 bis 1865, bis er am Karfreitag desselben Jahres im Ford`s Theatre in Washington D.C. einem Attentat zum Opfer fiel.

„Die Macht des Geldes,“ so Lincoln, „ist despotischer als eine Monarchie, unverschämter als eine Autokratie und egoistischer als eine Bürokratie. Sie verleumdet all jene als Volksfeinde, die ihre Methode in Frage stellen und Licht auf ihre Verbrechen werfen. Eine Zeit der Korruption an höchsten Stellen wird folgen und die Geldmacht des Landes wird danach streben, ihre Herrschaft zu verlängern, bis der Reichtum in den Händen von wenigen angehäuft und die Republik vernichtet ist“.

Ein weiser Mann. Lincoln wusste sehr früh, dass die Wallstreet die Mainstreet übernehmen würde. Aber nicht nur Republiken werden vernichtet, der ganze Planet steht zur Disposition, ohne dass den verantwortlichen Eliten auch nur ein Hauch von Schamesröte in die Gesichter steigen würde. „Die Natur ist ein unendlich geteilter Gott,“ hat Friedrich Schiller gesagt. Wer diese Worte verinnerlicht und infolgedessen Respekt und Ehrfurcht vor dem Mysterium der Schöpfung entwickelt, kann angesichts unserer Barbarei die Wut und Verzweiflung, die in ihm brennt, nur noch schwer zügeln. Ich jedenfalls kann es nicht mehr. Dabei war ich vor nicht allzu langer Zeit noch voller Hoffnung, ja geradezu euphorisch, was die Lösungen betrifft, die uns aus der Krise führen könnten. Sie liegen praktisch auf der Straße, werden jedoch von den Kapitalinteressen brutal ausgebremst. Inzwischen muss ich darauf achten, dass ich den Menschen in meinem Umkreis nicht jegliche Hoffnung nehme. Aber welche Hoffnung ist gemeint? Die Hoffnung, dass es immer so weiter gehen möge wie bisher? Keine Angst, das wird es wohl.

Seit hundertfünfzig Jahren, seit Beginn der Industrialisierung, stellen sich couragierte Männer und Frauen dem Wahnsinn entgegen. Ich nenne diese Menschen Mahnwesen. Sie wussten und wissen, dass der von den Menschen eingeleitete Ökozid irgendwann an den Nerv allen Lebens geht. Ihnen blieb und bleibt keine andere Wahl, als radikal Position zu beziehen, was in der manipulierten und narkotisierten Gesellschaft, die wir heute vorfinden, mit hohen Risiken für Leib und Leben verbunden ist. Aber wer einmal die ungeheuerliche Tatsache erkannt hat, dass unser von Gier gesteuertes Wirtschaftssystem die Schraube bis zum Anschlag drehen wird, für den gibt es kein Zurück, auch wenn den meisten klar ist, dass sie in ihrer Verzweiflung lediglich als Rufer in der Wüste agieren.

Wie ist es möglich, dass alle zerstörerischen Handlungen, die wir erleben müssen, von den Machteliten und deren Medien als kreative Taten gefeiert werden? Die Bombardierung anderer Länder, der Bau von Staudämmen, das Versprühen von Insektiziden, die Erschaffung genmanipulierter Organismen – dies alles wird als notwendig, fortschrittlich und kreativ empfunden. Wir begreifen Gesundheit als Leistung der pharmazeutischen Industrie, wir verstehen soziale Sicherheit als etwas, was Polizei und Justiz herstellen. So ist es auf fast allen Gebieten: wir glauben ausschließlich an ordnungspolitische oder technische Lösungen – wir vertrauen uns selbst nicht mehr. Und damit begeben wir uns widerstandslos in die Hände derer, die den Untergang kurzfristig so gewinnbringend betreiben.

Wie geht man nun mit der Tatsache um, dass man einer Spezies angehört, die sich blind in den kollektiven Untergang wühlt und dabei alles andere Leben aus dem Gleichgewicht reißt, ohne dass man auch nur die geringste Möglichkeit hätte, dieser verheerenden Entwicklung entgegen zu wirken? Jahrzehntelang haben wir uns in unserer Ohnmacht mit immer neuen Parolen rüsten müssen: Rettet die Nordsee, rettet das Nashorn und das Klima, rettet den Regenwald, rettet den, die, das. Das Ergebnis? RETTE SICH WER KANN!

Das Erstaunliche ist,  dass es nicht die Herausforderungen sind, die uns ohnmächtig werden lassen, sondern das verbreitete Gefühl, nicht an der praktischen Umsetzung von Lösungsansätzen teilnehmen zu können. Das Problem ist nicht die Krise! Das wirkliche Problem ist das Gefühl der Machtlosigkeit, dieser Eindruck, mit gebundenen Händen dazustehen und nichts anderes tun zu können. 

Wie schafft man es nun, angesichts der permanent sich verschlimmernden Zustände nicht verrückt zu werden? Der US-amerikanische Umweltaktivist und Autor Derrick Jensen („Endgame“) bringt es auf den Punkt: „Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass unsere Zivilisation nur Wälder kahl schlägt. Sie tut dasselbe mit unserer Psyche. Es wäre verfehlt zu glauben, dass sie nur Flüsse mit Dämmen verbaut. Sie errichtet auch in uns Dämme. Es wäre verfehlt, dass sie nur in den Meeren tote Zonen erzeugt. Sie schafft tote Zonen in unseren Herzen und in unseren Köpfen. Es wäre verfehlt zu glauben, sie würde nur Habitate zerstückeln. Auch wir werden zerstückelt, zertrennt, zerfetzt, zerrissen und zermalmt“.

Ich kann diese Worte sehr gut nachvollziehen. Noch diese Woche werde ich ein etwa siebzig Seiten langes Traktat beginnen, mit dem ich eines Menschen gedenken möchte, der seit 35 Jahren vehement und mit Leidenschaft für eine sozio-ökologische Wende kämpft. Es handelt sich um Eric Bihl, den Gründer und Vorsitzenden des Equilibrismus e.V. (www.equilibrismus.org). Das Sachbuch „Equilibrismus – Neue Konzepte statt Reformen für eine Welt im Gleichgewicht“, zeigt genügend Alternativem auf, mit der sich unsere Gesellschaft auf alle Feldern von Grund auf verändern könnte. Unterstützt wurde und wird der Verein von Persönlichkeiten wie Sir Peter Ustinov, Lord Yehudi Menuhin, Thor Heyerdahl, Dennis Meadows, Hermann Scheer, Daniel Goeudevert, Jean Ziegler und vielen anderen. Eric Bihl steht nach allen gemachten Erfahrungen kurz davor, den Kampf aufzugeben. Wie würde Tulcholsky sagen? „Und wieder einer, wieder einer.“

Ich werde in diesem Buch mit dem Titel „Dumm gelaufen …“ über die Langzeitfolgen und das Kurzzeitgedächtnis sprechen. Ich werde einen Blick zurück auf die kurzen Zeiten des Friedens, auf humanistische Ideale und auf alles, wozu Menschen sich hätten entwickeln können werfen. Vielleicht liest sich der Text wie ein vorgezogenes Tribunal, das jedoch niemanden schuldig spricht, da wir doch alle in unseren kleinen individuellen Geschichten verstrickt sind und gar nicht über die geistigen und seelischen Voraussetzungen verfügen, um die unfassbare Endzeit der Hochzivilisation in unser bescheidenes Weltbild einordnen zu können. Im Unterbewusstsein macht unsere Psyche nämlich dicht. Auch eine Art der Rettung … Letztlich werde ich den Mitläufern, die sich in grandioser Unkenntnis auf dem Marsch in die Katastrophe befinden, Absolution erteilen. Ihr seht schon, zu mehr als einem ohnmächtigen Statement werde ich wohl nicht in der Lage sein.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildhinweis: Martina Badini / Shutterstock 

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