Der Israel-Beauftragte.
Von Ulrich Gellermann.
Jüngst wurden Israel-Flaggen in Berlin verbrannt. Das wäre, wenn es echte Flaggen gewesen wären, echt strafbar gewesen. Man hätte die Täter nach § 90a des Strafgesetzbuches ein bisschen bestrafen können. Ziemlich sicher waren es aber keine echten Hoheitssymbole, sondern selbstgebastelte Imitate. Deren Verbrennung gilt als schlichte Meinungsäußerung. Eine Meinung zu äußern, ist aber noch nicht strafbar. In Israel werden von einer kleinen orthodoxen jüdischen Minderheit aus religiösen Gründen ziemlich regelmäßig israelische Flaggen verbrannt: Die Orthodoxen mögen den zionistischen Staat nicht. Aber nicht mal ausgemachte zionistische Hardliner kamen bisher auf die Idee, diese Gruppierung für antisemitisch zu halten.
Ganz anders in Deutschland. Die paar aus Protest gegen die israelische Unterdrückung der Palästinenser angekokelten Fähnchen führten zu einem mächtigen öffentlichen Aufbäumen: Kanzlerin Angela Merkel sprach von „gravierenden Ausschreitungen“, der studierte SPD-Justizminister Heiko Maaß meinte, dass, wer israelische Fahnen in Brand stecke, auch „unsere Werte“ verbrennen würde. Und Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, äußerte im Reflex: Wer israelische Fahnen verbrennt, stellt das Existenzrecht Israels infrage. So aufgezäumt galoppierte der Politgaul gleich in den Bundestag und führte zu einer Entschließungsvorlage mit dem hochtrabenden Titel „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“. Die bediente sich dann eines alten schäbigen Tricks und setzte „Boykottaufrufe und Beleidigungen gegen Israel“ dem Antisemitismus gleich. Der Mord an europäischen Juden durch die deutschen Nazis und die darüber anhaltende deutsche Scham wird mit der absichtlichen Verwechslung von Israel-Kritik und Antisemitismus schamlos für eigene Ziele ausgebeutet und entwertet.
Mit dieser Sorte selbst erzeugten Rückenwindes forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, einen Antisemitismusbeauftragten zu berufen. „Der Antisemitismusbeauftragte soll sich der ressortübergreifenden Koordination der Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung des Antisemitismus widmen.“ Der Antisemitismus, den es zweifellos gibt, ist eine ziemlich verrückte Weltanschauung, die einer religiösen oder ethnischen Gruppe eine diffuse Schuld zuweist. Solcherlei verdrehte Ideologie ist nicht auf die Verleumdung und Verachtung von Juden beschränkt. Wer in den letzten Jahren deutsche Mainstream-Medienprodukte konsumierte, konnte zur Auffassung gelangen, dass „die“ Russen oder „Putin“ für alles erdenklich Schlechte verantwortlich seien.
In beide Fällen, dem Antisemitismus und der Russophobie, sollen die ideologischen Konstrukte auch dazu herhalten, deutsche Schuld zu minimieren. Aber während es im Falle des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden eine informierte und informierende Öffentlichkeit gibt, ist sowohl die Zahl der ermordeten Sowjetbürger, die deutlich mehr als zwanzig Millionen beträgt, als auch die deutsche Verantwortung für den rassistischen Feldzug gegen die zumeist russischen „Untermenschen“ kaum bekannt. Wer das nicht glauben mag, der muss sich nur schlichte Fragen stellen: Gibt es ein Mahnmal für die von den Nazis ermordeten sowjetischen Völker in Deutschland, gab es eine „Wiedergutmachung“ für die unzähligen Toten und die im Gefolge der „verbrannten Erde“ angerichteten unermesslichen Schäden, gab und gibt es eine deutsche Außenpolitik, die auf die Freundschaft mit Russland, dem Nachfolgestaat der Sowjetunion orientierte? Und während man die Feindschaft des westdeutschen Staates gegen die Sowjetunion noch der Zweiteilung der Welt, dem Kampf der Systeme zuordnen mochte, blieb nach der Implosion der Sowjetunion kein politisches Konstrukt zur Rechtfertigung dieser rassistisch aufgeladenen Haltung mehr übrig.
Das deutsche Grundgesetz in seiner kühlen juristischen Weisheit behauptet, dass ALLE Menschen vor dem Gesetz gleich sind und verlangt deshalb, dass NIEMAND „wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf. NIEMAND. Wenn jetzt eine religiös definierte Gruppe, die Israelis, einen eigenen Kommissar zur Sicherung ihrer Interessen bekommt, dann widerspricht das dem Grundgesetz und wirft eine Reihe von Fragen auf, die nicht juristisch zu beantworten sind. Da die Mütter und Väter des neue Manifestes zur Begründung nur ideologisches Geschwurbel anbieten, ist man auf begründete Vermutungen zur Beantwortung der Fragen angewiesen.
Ganz sicher soll diese innenpolitische Maßnahme die deutsche Außenpolitik gegenüber Israel zementieren. Jene ziemlich bedingungslose Treue einem Staat gegenüber, der eine aggressive Haltung gegen seine Nachbarn einnimmt. Einem Staat, dessen atomare Bewaffnung zumindest seinen iranischen Konkurrenten im Nahen Osten gefährlich bedroht. Einem Staat, der im Inneren eine Sorte der Apartheid pflegt, die weder den internationalen Menschenrechten entspricht, noch auf die friedliche Lösung des Nah-Ost-Konfliktes orientiert. Ebenso sicher dient dieser neue Beauftragte auch der Legitimierung der permanenten deutschen Rüstungs-Exporte nach Israel. Von den vielen Kleinwaffen, die im israelischen Bürgerkrieg gegen die Palästinenser Verwendung finden, bis zu U-Booten und Korvetten für die israelische Marine, die den Großmachtansprüchen der Israelis dienlich sind.
Der Antisemitismus-Beauftragte wird in Wahrheit ein moralisch maskierter Israel-Beauftragter sein. Ein Funktionär, der für das Gehalt eines Staatssekretärs die Existenz des modernen deutschen Staates nicht aus dem Verbrechen des Zweiten Weltkriegs erklären soll, sondern ihn primär auf das Verbrechen des Holocaust zurückführt. Das umgeht das Friedensgebot des Grundgesetzes, das blendet die Frage aus, ob sich denn ein Verursacher des Zweiten Weltkrieges an diversen Kriegen in anderen Ländern beteiligen darf, das veredelt eine militarisierte Außenpolitik und formiert das Land auch im Inneren: „Wir sind sind die GUTEN, soll der Beauftragte akzentuieren. Wir haben aus unserer Schuld gegenüber den Juden gelernt. Dass es noch andere Opfer gibt, soll die deutsche Öffentlichkeit nicht wissen.
Was fehlt ist nur noch der Name des hohen Beauftragten. Fraglos drängt sich Henryk M. Broder, der Kasper der Israel-Rundum-Verteidigung auf. Von Broder stammt der zynische Satz „Verglichen mit dem Warschauer Ghetto ist Gaza ein Club Méditerranée.“ Von dieser mörderischen Position ist der Schritt zum Vergeltungs-Terror nicht mehr weit weiß Broder: „Die Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, übersteigt die Grenze zum Irrealen.“ Broder hätte auf alle Fälle den Vorteil, dass der ganze romantische Klimbim um den neuen Job auf seinen Wesensgehalt geführt würde: Wer nicht für Israel ist, der ist ein Feind.
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