Warum deutsche Medien kaum über den Streit zwischen Polen und Ukraine berichten | Von Thomas Röper

Ein Kommentar von Thomas Röper.

Polen fordert von Kiew eine Entschuldigung für das Massaker von Wolhynien, aber da die Ukraine dann anerkennen müsste, dass sie Massenmörder, die im Krieg mit den Nazis kollaboriert haben, als Nationalhelden verehrt, ist das ein schwieriges Thema für Kiew. Und auch für die deutschen Medien.

Polen sitzt gegenüber der Ukraine derzeit am längeren Hebel und lässt Kiew das auch deutlich spüren. Neben dem Streit um ukrainische Agrareinfuhren in die EU legt die polnische Regierung besonderen Wert darauf, dass Kiew sich für das Massaker von Wolhynien entschuldigt, bei dem Angehörige der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), die mit den Nazis zusammengearbeitet hat, 1943 in Wolhynien und anderen Regionen bis zu 100.000 Polen Polen brutal abgeschlachtet haben. Die Aufklärung des Massakers von Wolhynien, also letztlich eine formvollendete Entschuldigung der Ukraine bei Polen, sei eine der Bedingungen für den Beitritt der Ukraine zur EU, heißt es in Polen parteiübergreifend.

Ein für deutsche Medien heikles Thema

In deutschen Medien hört man über diesen Streit nicht viel. Das ist wenig überraschend, schließlich bestreiten die deutschen Medien vehement, dass die heutige Ukraine de facto ein Nazi-Staat ist, und behaupten stattdessen, Kiew kämpfe (mit deutscher Unterstützung) für Demokratie und Menschenrechte. Da würde es natürlich nicht ins Bild passen, dass ukrainische Nationalisten im Zweiten Weltkrieg so brutal gemordet haben, dass sogar hartgesottene deutsche SS-Männer schockiert waren, und dass Kiew sich dafür bei den Opfern und ihren Nachkommen nicht zu entschuldigen gedenkt, sondern die Täter stattdessen als Nationalhelden verehrt.

In der heutigen Ukraine werden die Kriegsverbrecher, die im Krieg zusammen mit der SS Massenmorde begangen haben, als Nationalhelden verehrt. Das ukrainische Parlament hat 2020 beispielsweise als eines der ehrwürdigen Jubiläen des Jahres den 115. Geburtstag von Ulas Samtschuk in den Kalender der Ehrentage des Jahres aufgenommen. Samtschuk war der Chefredakteur der nationalsozialistischen und antisemitischen Zeitung „Wolhynien“ und Teilnehmer an der Vernichtung von 25.000 Juden in Riwne. Seine „Werke“ sind heute offizieller Teil der Lehrpläne an ukrainischen Schulen.

Weitere Nationalhelden der heutigen Ukraine, deren runde Geburtstage 2020 vom ukrainischen Parlament gefeiert <1> wurden, waren unter anderem Andrej Melnyk, Organisator und Teilnehmer der Massenmorde an Juden in Kiew, Schytomyr und Winnyzja, einschließlich des Tals Babyn Jar. Oder Wassili Lewkowytsch, Organisator und Teilnehmer des Massenmordes an 5.000 Juden in Dubno und Riwne. Oder Wladimir Kubijowytsch, einer der Initiatoren der Gründung der SS-Division „Galizien“. Und so weiter und so fort.

Darüber schweigen die deutschen Medien, aber diese Vergangenheit, für die Kiew sich nicht entschuldigen will, steht zwischen Polen und der Ukraine.

Kulebas Fehltritt

Ende August machte der damalige ukrainische Außenminister Kuleba während eines Polen-Besuches bemerkenswerte geschichtspolitische Aussagen. Medienwirksam teilte er auf einer Podiumsdiskussion mit dem polnischen Außenminister Sikorski die offizielle Position Kiews zum Umgang mit dem Gedenken an das Wolhynien-Massaker mit. Kuleba erinnerte bei der Diskussion darüber nämlich daran, wie die Polen die Ukrainer während der Operation „Weichsel“ behandelt haben, bei der nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der neuen Grenzziehungen in Osteuropa etwa 150.000 Ukrainer gewaltsam aus Polen in die Ukraine deportiert wurden.

Dabei leistete sich Kuleba einen entscheidenden Fehltritt, denn er sagte <2>:

„Tatsache ist, dass all diese Ukrainer gewaltsam aus den ukrainischen Gebieten vertrieben und hier angesiedelt wurden“

Dass Kuleba die heute polnischen Gebiete als „ukrainische Gebiete“ bezeichnete, löste in Polen einen Sturm der Entrüstung aus <3> und könnte einer der Gründe für seine Entlassung einige Tage später gewesen sein, denn in Polen, das für die Ukraine in der Frage des EU-Beitritts nun einmal eine Schlüsselrolle einnimmt, war er danach als Gesprächspartner toxisch.

Wenn Nationalisten sich streiten

Aber so ist das eben, wenn Nationalisten sich streiten, denn die polnischen Regierungen der letzten Zeit sind nicht weniger nationalistisch als das Regime in Kiew. Und da Polen derzeit nun einmal am längeren Hebel sitzt, erwartet es von Kiew, dass es auf Knien rutscht und nicht an historische Verbrechen der Polen erinnert.

Kuleba wurde am 5. September, also kaum eine Woche später, als ukrainischer Außenminister gefeuert, aber damit war der Streit nicht vorbei. Vom 13. bis 15. September war der polnische Außenminister Sikorski in Kiew und bei dem Besuch soll er sich unter anderem aus dem gleichen Grund heftig mit Selensky gestritten <4> haben. Bei dem Streit ging es darum, dass Selensky Warschau vorwarf, die Bemühungen Kiews um den EU-Beitritt nicht zu unterstützen, dass Warschau der Ukraine laut Selensky zu wenig Militärhilfe leiste, und ein weiterer Streitpunkt war wieder das Gedenken an die Opfer des Massakers von Wolhynien.

Polen will EU-Präsidentschaft für Druck auf Kiew nutzen

Am 1. Januar 2025 übernimmt Polen die EU-Präsidentschaft und die polnische Regierung will das nutzen, um Druck auf Kiew auszuüben, damit die strittigen Fragen in den bilateralen Beziehungen im Sinne Polens gelöst werden, berichtete <5> das Portal polnische Onet nun unter Berufung auf Quellen aus dem polnischen Außenministerium.

Warschau wird während seiner EU-Präsidentschaft eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen zwischen der Ukraine und den EU-Staaten spielen. Das Portal zitierte einen hochrangigen Vertreter des polnischen Außenministeriums wie folgt:

„Die Ukrainer haben eine lange Liste von Forderungen, während wir nur eine einzige haben. Sie müssen begreifen, dass wir uns auf einer für beide Seiten vorteilhaften Basis einigen müssen. Bisher haben sie das nicht erreicht.“

Damit bezog er sich die Forderung Warschaus, die Exhumierung der Opfer des Massakers von Wolhynien fortzusetzen, was Kiew nach Ansicht der polnischen Regierung verhindert. Das Portal zitierte seine Quelle aus dem polnischen Außenministerium über den Streit in Kiew:

„Sikorski hat Selensky wollte überreden, die historischen Fragen mit Polen jetzt zu lösen, weil er auf diese Weise einen niedrigeren Preis zahlen würde als während der Beitrittsgespräche. Das passte Selensky nicht. Die ukrainischen Politiker haben den Eindruck, dass sie die Verhandlungen schnell abschließen können, weil sie nach der russischen Invasion jeden weiteren Schritt [zur Annäherung an die EU] blitzschnell vollzogen haben. Aber in dieser Phase wird das so nicht mehr funktionieren. Kiew braucht Warschaus aktive Unterstützung in der Frage des EU-Beitritts. Und hier gibt es Raum für Diskussionen. Wir werden ihnen helfen, wenn sie uns helfen.“

Der Wind hat sich gedreht

Wenn man das mit dem vergleicht, wie der polnische Präsident Duda sich 2022 als größte Freund der Ukraine aufgespielt hat, dann wird deutlich, wie sehr der Wind sich gedreht hat. Im Mai 2022 sagte der polnische Präsident Andrzej Duda beispielsweise <6>:

„Es wird keine Grenze mehr zwischen unseren Ländern, Polen und der Ukraine, geben. Dass wir gemeinsam auf diesem Land leben und unser gemeinsames Glück und eine gemeinsame Stärke aufbauen, die es uns ermöglicht, jede Gefahr und jede mögliche Bedrohung abzuwehren.“

Damals haben Duda und die damalige polnische Regierung noch darauf gehofft, die Ukraine quasi schlucken zu können.

Im Juni 2022 war Duda in Kiew und hielt eine Rede in der Rada, in der er seine Vision der „Grenzenlosigkeit“ mit der Ukraine weiter ausführte. Selensky applaudierte bei jedem Wort, das der polnische Präsident im ukrainischen Parlament sagte.

Selensky dankte Polen für das damals verabschiedete Gesetz über die Hilfe für die Ukrainer und versprach, genauso zu antworten. Die Polen würden die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie Ukrainer erhalten. Sie können in der Ukraine bei Wahlen antreten, öffentliche Ämter und hohe Posten bekleiden und vollen Zugang zu geheimen Daten bekommen.

Das hat Selensky auch brav umgesetzt, aber bekanntlich hatte Polen von der teuren Hilfe für die Ukraine und die nach Polen geflüchteten Ukrainer schnell die Nase voll.

Heute ist davon, dass Ukrainer und Polen „gemeinsam auf diesem Land leben und unser gemeinsames Glück und eine gemeinsame Stärke aufbauen“ nicht mehr die Rede. So schnell können sich die Dinge ändern.

Allerdings haben deutsche Medien es nicht für nötig gehalten, ihre Leser über all diese Entwicklungen zu informieren.

Quellen

<1> https://anti-spiegel.ru/2022/kurz-zusammengefasst-russlands-sicht-auf-die-ereignisse-in-der-ukraine/

<2> https://wydarzenia.interia.pl/kraj/news-burza-po-slowach-dmytro-kuleby-o-polsce-ukrainskie-msz-prost,nId,7768996

<3> https://de.rt.com/europa/217399-keine-aussoehnung-in-sicht-kuleba-schokiert-polen-aussagen-wolynien-massaker/

<4> https://anti-spiegel.ru/2024/medien-selensky-hat-sich-waehrend-dessen-besuchs-in-kiew-mit-polnischem-aussenminister-gestritten/

<5> https://tass.ru/mezhdunarodnaya-panorama/21901613

<6> https://anti-spiegel.com/2022/polens-praesident-spricht-offen-ueber-annektierung-der-westukraine/

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 19. September 2024 bei anti-spiegel.ru

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Bildquelle: paparazzza / shutterstock

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Kommentare (6)

6 Kommentare zu: “Warum deutsche Medien kaum über den Streit zwischen Polen und Ukraine berichten | Von Thomas Röper

  1. Norbert sagt:

    Danke, Thomas Röper, für diesen wichtigen Hinweis! Aufarbeitung ist nötig! Überall. Wir waren 2023 in Belarus: "Wenn Wikipedia löscht – Die Fahrt nach Weißrussland."
    Sehen wir nicht exaltierter Stelle wie aus nicht aufgearbeiteter Kolonialpolitik Apartheit entsteht? Es ist ein Unrecht, welches sich später rächen wird, wenn Kolonialherren bewohntes Land an Neuansiedler übergeben.

    • Apartheid hat damit nichts zu tun. Das war eine Doktrin, die sich auf die Rassentrennung der ethnischen Bevölkerungsgruppen, ausschließlich in Südafrika bezog.
      Sowohl die Ukrainer als auch die Polen, geschweige denn die Russen gehören zur gleichen, nach Bevölkerungsanzahl größten Gruppe von Ethnien in Europa, nämlich den Slawen.

      Aufarbeitung, Entschuldigung…
      Sind derartige Taten überhaupt entschuldbar?
      Was soll man da aufarbeiten? Die Taten sind historisch belegt.
      Wenn Polen allerdings auf eine Entschuldigung besteht, wäre das das Mindeste worauf sich die Ukraine einlassen sollte. Voraussetzung ist natürlich, dass sie diese Taten auch zugibt.
      Sie sollten sich ein Beispiel an Willy Brandt nehmen, auch wenn das Geschehene nicht rückgängig gemacht werden kann.
      Kann man aber so etwas von jemandem erwarten, der Nazis als Helden feiert? …

    • Norbert sagt:

      Multum-in-Parvo ich sehe keinen gravierenden Unterschied, zwischen dem was ich oder Sie geschrieben haben. Als ich letztes Mal in Ramallah und Jerusalem war, sah das für mich wie Apartheit aus. Apartheit heißt Getrenntheit.

    • Norbert sagt:

      "Wenn Wikipedia löscht – Die Fahrt nach Weißrussland."
      ist ein Film über diese Fahrt – bei eingeSCHENKt.TV erschienen.

    • Ich habe ja erklärt was Apartheid bedeutet. Im Übrigens- heißt es Apartheid und nicht Apartheit.
      Trennung oder Spaltung basierend auf rassistischen Gründen sind dann auch als solches zu bezeichnen oder rassistische Diskriminierung, usw.
      Apartheid jedoch definiert sich genauso wie ich es dargelegt habe. Bezieht sich ausschließlich auf Südafrika.

    • Um es zusätzlich zu verdeutlichen:
      Was in Nahost passiert hat keinen rassistischen Hintergrund. Kann es gar nicht weil Palästinenser genauso Semiten sind wie die Juden auch. Wie übrigens alle arabischen Bevölkerungsgruppen.
      Die Ursachen dieses ewigen Konflikts finden sich in der Art und Weise wie der Staat Israel gegründet worden ist und in der damit zusammenhängenden Vertreibung der einheimischen Bevölkerung, die in diesem Gebiet gelebt hatte.
      Und daran war, wie soll es auch anders sein, der "Westen" maßgeblich beteiligt. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf das, was 6 arabische Nachbarstaaten zu sagen hatten, ohne Rücksicht auf örtliche Gegebenheiten, ohne alles.

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