Wie wird die Gruppe der „Blockfreien“ aussehen? | Von Jochen Mitschka

Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Indien wird immer wieder als Nukleus und Führungsland der Länder der Blockfreien angesehen. Das sind Länder, die sich sowohl außerhalb der neu entstehenden Welt des Multipolarismus als auch des imperialen Westens als dritte Macht mit guten wirtschaftlichen Beziehungen zu beiden anderen Machtblöcken sehen. Es gibt einen Geheimkandidaten für diese Gruppe, nämlich die Türkei. In diesem Zusammenhang will ich heute über Ereignisse berichten, welche die Blockfreien betreffen, die man nicht mit der ehemaligen Staatengemeinschaft der blockfreien Länder gleichsetzen darf, und ihre Beziehungen zum Multipolarismus. Einige Länder scheinen zu versuchen, mit einem Bein im westlichen Imperialismus zu verbleiben, aber gleichzeitig vom Multipolarismus zu profitieren.

Türkei – möchte Führungsland der Muslime sein

Ein Beispiel für die Rolle die ein Land zwischen den beiden Blöcken spielt, beschreibt der indische Ex-Diplomat M.K. Bhadrakumar am 3. April(1), indem er erklärt, wie die Türkei als NATO-Land, ebenso wie vorher China und Indien, den internationalen Haftbefehl gegen Putin ignoriert und welche Rolle Putin und Russland für die Gruppe der Blockfreien spielen.

So erklärt der Autor, dass der türkische Präsident Recep Erdogan bekannt gegeben habe, dass der russische Präsident Wladimir Putin am 27. April an der Zeremonie der Beladung von Kernbrennstoff im Kernkraftwerk Akkuyu teilnehmen werde.

Putin habe sich in der Vergangenheit bereits per Videokonferenz zum KKW Akkuyu geäußert, und bei der Zeremonie anlässlich des Baubeginns des Prestigeprojekts im April 2018 versprochen, der Inbetriebnahme im Jahr 2023 beizuwohnen. Rosatom habe sein Versprechen, das Projekt termingerecht fertigzustellen, gehalten, und nun sei Putin an der Reihe. Und als Deutscher muss man wehmütig an Bau-Großprojekte in diesem Land und ihre termingerechte Fertigstellung denken.

Weiter in dem Artikel heißt es, dass sich Erdogan offensichtlich nicht um den jüngsten Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Putin kümmere, meint Bhadrakumar, indem er noch drastischere Worte benutzt. Der chinesische Präsident Xi Jinping habe gezeigt, wie man ihn ignorieren könne. Russlands G20-Sherpa Swetlana Lukasch habe außerdem erklärt, dass Putin in diesem Jahr voraussichtlich zweimal nach Indien reisen werde – zum G20-Gipfel im September und später zum SCO-Gipfel 2023.

Erdogan weise die angelsächsische Verschwörung zur Dämonisierung Putins offen zurück. Dieser verächtliche Trotz sei zum Teil eine Reaktion auf die zunehmende Einmischung der USA in die für den 14. Mai angesetzten Präsidentschaftswahlen in der Türkei. In aufrührerischen Äußerungen habe Erdogan am Sonntag geschworen, “Amerika eine Lektion zu erteilen“.

Mit seiner Einladung an Putin, als Hauptgast an der Einweihung des KKW Akkuyu teilzunehmen, eine Einweihung, die zweifellos einen Meilenstein darstelle, signalisiere Erdogan im Grunde seine tiefe Wertschätzung für Putins Beitrag zum Ausbau und zur Vertiefung der türkisch-russischen Beziehungen. Die persönliche Verbundenheit zwischen den beiden Staatsoberhäuptern habe den Beziehungen zweifelsohne einen großen Schub verliehen. Erdogan werde die Inbetriebnahme des KKW Akkuyu wahrscheinlich als sein präsidiales Vermächtnis in den Wahlkampf einbringen.

Jetzt müssen Deutsche Atomkraftgegner ganz tapfer sein. Der Autor bemerkt, dass das 20 Milliarden Dollar teure KKW Akkuyu in vielerlei Hinsicht das erste seiner Art sei – das einzige große Kernkraftwerk in der Türkei (mit vier russischen WWER-1200-Reaktoren), das größte Projekt in der Geschichte der russisch-türkischen Zusammenarbeit, das weltweit erste KKW-Projekt, das nach dem BOO-Modell (Build – Own – Operate) umgesetzt werde, und so weiter.

Das KKW Akkuyu sei im Wesentlichen ein Symbol für den Wandel in der türkischen Außenpolitik während der Ära Erdogan, d. h. für die angestrebte Distanzierung der Türkei vom westlichen Bündnissystem und die Suche nach unabhängigen Wegen, die die strategische Autonomie des Landes stärken, mit einer Ausrichtung nach Osten als Kernstück und einer darin eingebetteten Offenheit für die eurasische Integration. Dieser Prozess habe die Türkei an die Türschwelle von BRICS geführt.

Der Westen habe der Türkei nie eine gleichberechtigte Beziehung angeboten. Der von den USA unterstützte Putschversuch im Jahr 2016, mit dem Erdogan gestürzt werden sollte, sei eine traumatische Erfahrung gewesen, die Erdogan schwer erschüttert habe. Die türkisch-amerikanischen Beziehungen hätten sich danach nie wirklich erholt.

Man müsse anerkennen, dass die Türkei, die auf eine reiche Geschichte in der internationalen Diplomatie zurückblicken kann, auch eine kluge Regionalmacht sei, die als Swing State und als Brücke zwischen dem Westen und dem Osten einzigartig positioniert sei – gesegnet mit einer intuitiven Wahrnehmung der sich anbahnenden Konfrontation zwischen dem Westen und Russland und dem Kampf um die Gestaltung der Weltordnung.

Offensichtlich habe die Türkei die aufziehenden Stürme am Horizont gesehen und verstanden, dass der Niedergang des Westens eine geopolitische Realität ist und die Türkei sich im Voraus positionieren sollte, anstatt von den Ereignissen überholt zu werden.

Allerdings habe die Türkei Schwierigkeiten in ihren Beziehungen zu Russland. Hier habe Erdogans politischer Scharfsinn den Unterschied gemacht, denn er habe in seiner persönlichen Diplomatie größten Wert darauf gelegt, in den vergangenen sieben Jahren seit der russischen Militärintervention in Syrien eine optimale Arbeitsbeziehung zu Putin zu pflegen.

Auch Putin habe seinerseits großen Wert auf persönliche Diplomatie gelegt. Putin habe mehr als einmal öffentlich geäußert, dass Erdogan kein einfacher Gesprächspartner sei, und dass dieser die Interessen der Türkei hartnäckig durchsetzen könne. Aber das sei eine Führungsqualität, die Putin respektiere und als Realist sogar akzeptiere. Putin habe über Gelegenheiten gesprochen, bei denen es zu Meinungsverschiedenheiten mit Erdogan kam, aber seine Reaktion sei immer gewesen, sich um eine faire Lösung zu bemühen. Erdogan schätze den impliziten guten Willen, und mit der Zeit habe sich eine kritische Masse an gegenseitigem Vertrauen entwickelt.

Dann kommt der Autor zu Chinas Vermittlung bei der Normalisierung der saudi-iranischen Beziehungen, die von der Weltgemeinschaft in den höchsten Tönen gelobt und bewundert worden sei. Die Jerusalem Post habe geschrieben: “Eine Erwärmung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran wird in naher Zukunft zu blitzschnellen Zügen auf dem Schachbrett des Nahen Ostens führen.

Was jedoch noch nicht auf dem Radar zu sehen sei, aber ebenso bedeutsam sein werde, seien Russlands robuste Bemühungen hinter den Kulissen, und eine breitere Integration Syriens in seine arabische Nachbarschaft herbeizuführen.

„Im Gegensatz zu den USA, die eine Spur von Tod und Zerstörung hinterließen, als sie sich mit unerledigten Aufgaben aus ihren Kriegen zurückzogen, hat sich Russland in Syrien gut geschlagen, indem es seine Sicherheitsmission zur Beseitigung der terroristischen Bedrohung der Regierung erfüllte und anschließend auch die Stabilisierung und den Wiederaufbau des Landes politisch und diplomatisch untermauerte.“(1)

Es ist durchaus denkbar, dass Putin jede Gelegenheit beim ägyptischen Präsidenten Sisi nutzten werde, um mit Assad ins Gespräch zu kommen. Das ägyptische Außenministerium habe übrigens betont, dass es bei den Gesprächen von Außenminister Sameh Shoukry mit dem syrischen Außenminister Faisal Mekdad am Samstag in Kairo darum ging, “das syrische Volk bei der Wiederherstellung der Einheit (des Landes) und der Souveränität über sein gesamtes Territorium zu unterstützen“.

Letzten Endes sei Putins persönliche Diplomatie jedoch am besten in seinen Bemühungen um die Wiederherstellung der zerrütteten Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien zu erkennen. Putin, so der Autor, sei der Ansicht, dass eine Annäherung zwischen Ankara und Damaskus nicht nur möglich, sondern für beide Länder sowie für den Frieden und die Sicherheit in der Levante zwingend notwendig ist.

Putin befürworte grundsätzlich die fortdauernde Relevanz des Adana-Abkommens von 1998 als Grundlage für eine wirksame Bewältigung der kurdischen Separatistenherausforderung, die den Spielraum Washingtons einschränke, und sogar dazu veranlassen könnte, seine Besetzung eines Drittels der syrischen Gebiete unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung aufzugeben.

Erdogan habe begriffen, dass Washington einen Hintergedanken verfolge, indem es sich mit den militanten kurdischen Gruppen in Nordsyrien verbünde, obwohl diese den grenzüberschreitenden Terrorismus gegen die Türkei fördern, und dass Ankara daher von einer Zusammenarbeit mit Damaskus nur profitieren kann. Mit Blick auf die Wahlen im Mai habe sich Erdogan idealerweise mit Präsident Assad treffen wollen, da er spürte, dass auch die türkische Innenpolitik eine Annäherung zwischen der Türkei und Syrien befürwortet.

Doch die türkische Besetzung syrischen Territoriums bleibe ein Hindernis. Russland bemühe sich nach Kräften, dieses Problem zu lösen. Es bestehe die Chance, dass bei den bevorstehenden vierseitigen Gesprächen zwischen den stellvertretenden Außenministern der Türkei, Russlands, Irans und Syriens Licht am Ende des Tunnels zu sehen sei. In diesem Fall hätte Putin einen historischen Durchbruch erzielt, und sein Besuch in der Türkei anlässlich der feierlichen Inbetriebnahme des KKW Akkuyu könnte zu einem entscheidenden Moment in der Geopolitik des östlichen Mittelmeerraums und der Schwarzmeerregion werden. Soweit die Sicht aus progressiver indischer Position.

Der Friedensprozess im Mittleren Osten

Wie sich die Region, die bisher von der US “teile und herrsche” Politik zerstört worden war, um auf den Trümmern eine neue, den USA und seiner Wirtschaft passende Ordnung einzuführen, langsam aus den Klammern der Schumpeterschen „schöpferischen Zerstörung“ befreit, ist auch das Thema eines Artikels in The Cradle(2). Allerdings sieht der Autor nur Waffenstillstände, noch keinen Frieden.

Der Autor Hasan Illaik schreibt, dass das Moskauer Gipfeltreffen zwischen dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin Mitte März bemerkenswert sei, weil es im Voraus bekannt gegeben wurde. Seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien wurden Assads Auslandsbesuche erst nach ihrem Stattfinden öffentlich bekannt gegeben. Dieses kleine, aber wichtige Detail deute darauf hin, dass der syrische Präsident ein neues Vertrauen in die politischen und sicherheitspolitischen Bedingungen außerhalb seiner Landesgrenzen gewonnen habe.

Die Teilnehmer hielten sich zwar bedeckt, aber informierte Quellen aus Moskau und Damaskus hätten verlauten lassen, dass der syrische und der russische Präsident Themen besprachen, die man im Anhang zu diesem PodCast findet(3).

Dann bezieht sich der Artikel auf einen Artikel in der saudischen Tageszeitung Al-Sharq Al-Awsat. Dort werde berichtet, dass das saudische Außenministerium am 23. März 2023 die Aufnahme von Gesprächen mit Syrien angekündigt habe, um die konsularische Arbeit wieder aufzunehmen, was ein Vorspiel für die Rückkehr normaler diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern sei.

Quellen des Autors hätten bestätigt, dass mögliche Fortschritte in den syrisch-saudischen Beziehungen das Ergebnis von russischen Vermittlungsbemühungen sind, und nichts mit dem wegweisenden saudisch-iranischen Abkommen zu tun haben, das am 10. März in Peking geschlossen wurde. Die Quellen glauben, dass ein Treffen zwischen Riad und Damaskus nach dem Ende des Ramadan stattfinden könnte.

„Während der Erfolg der saudi-iranischen Verhandlungen unter chinesischer Schirmherrschaft und der mögliche Durchbruch in den saudisch-syrischen Beziehungen unter russischer Schirmherrschaft auf eine strategische Wende des Königreichs nach Osten hindeuten, betonen Riad nahestehende Quellen, dass sich an den Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den USA nichts geändert habe.“(2)

Jemen

Heute verfolge der saudische Kronprinz eine Politik der “Null-Probleme” mit den Nachbarländern, erklärt Illaik. Nachdem es ihm nicht gelungen sei, “den [regionalen] Kampf in den Iran zu verlagern“, und nachdem sein Krieg gegen den Jemen die jemenitische Widerstandsbewegung Ansarallah von einer kleinen Organisation in eine regionale Kraft verwandelt habe. Dadurch musste MbS erkennen, dass seine wirtschaftlichen, finanziellen und Unterhaltungs-Megaprojekte im Inland zum Scheitern verurteilt sind, wenn er nicht für Ruhe an den Grenzen des Königreichs sorgt.

Aus diesem Grund, so die Meinung des Autors, habe er seit Ende 2022 ernsthafte Verhandlungen mit dem Iran aufgenommen, reagierte selbstbewusst auf die russischen Vermittlungsbemühungen gegenüber Syrien und begann direkte Gespräche mit den Ansarallah in ihrer Hochburg Sanaa. Die Gespräche würden Berichten zufolge erhebliche Fortschritte machen, gerieten dann aber im Januar wegen mehrerer zentraler Punkte ins Stocken, darunter die Unfähigkeit (oder der Unwille) Riads, die Belagerung des Jemen aufzuheben, den Abzug ausländischer Truppen aus dem Land und eine Einigung über eine innenpolitische Lösung der jemenitischen Krise zu erlauben.

Zum Zeitpunkt, da der Artikel veröffentlich wurde, habe Riad behauptet, es könne seine Partner bei der Aggression – insbesondere die Vereinigten Arabischen Emirate und die USA – nicht zwingen, ihre Truppen aus dem jemenitischen Hoheitsgebiet abzuziehen.

„Mehrere Verbündete der Ansarallah sind der Ansicht, dass die Saudis den Krieg beenden wollen, aber von den USA, dem Vereinigten Königreich, den VAE und Frankreich daran gehindert werden. Diese Einschätzung änderte sich jedoch, nachdem Saudi-Arabien eine Reihe von Zusagen, die es in den Verhandlungen gemacht hatte, zurückgenommen hatte.“(2)

Nachdem die UNO die Beschränkungen für den Hafen von Hodeidah zunächst aufgehoben hatte, behindere sie nun wieder die Ankunft einiger Schiffe im Hafen. Die Wiederaufnahme der Belagerung sei mit einem Besuch des US-Botschafters im Jemen, Stephen Fagin, beim Personal des UN-Verifizierungs- und Inspektionsmechanismus (UNVIM) in Dschibuti zusammengefallen, das mit der Inspektion von Schiffen auf dem Weg nach Hodeidah beauftragt ist.

In einer erneuten Eskalation der Spannungen hätten die Ansarallah damit gedroht, die UN-Mission in Sanaa innerhalb von 72 Stunden zu vertreiben, falls ein von Inspektoren in Dschibuti beschlagnahmtes Containerschiff nicht freigegeben würde. Tatsächlich gaben die UN das Schiff vor Ablauf der Frist frei.

Obwohl die Drohung mit dem provokativen Besuch des US-Botschafters zusammen gefallen sei, und es den Anschein habe, dass die Amerikaner versuchten, die Absprachen zwischen Saudi-Arabien und Asarallah zu untergraben, berichten jemenitische Quellen dem Autor, dass die Blockade der Schiffe nicht ausschließlich eine Entscheidung der USA war, sondern auch eine saudische. Außerdem hätten die Vereinten Nationen die Regierung in Sanaa ausdrücklich darüber informiert, dass das Festhalten von Schiffen, die sich als waffenfrei erwiesen haben, auf eine Entscheidung der Koalitionsführung – also der Saudis – zurückgehe.

„Was hat Riad also vor, und wer behindert wirklich eine endgültige Lösung des Krieges im Jemen? Sind es die Saudis oder die Amerikaner?“(2)

Aus regierungsnahen Kreisen in Sanaa verlaute, führt der Artikel weiter aus, dass nach wie vor ein “umfassender amerikanisch-saudischer Konsens” über den Jemen bestehe. Der Autor zitiert:

“Washington und Riad sind sich nach wie vor darin einig, die Lage im Jemen zu beruhigen und gleichzeitig die Blockade aufrechtzuerhalten. Sie sind sich auch darin einig, dass der Jemen kein unabhängiges und starkes Land sein darf, das seine Ressourcen kontrollieren oder seine geografische Lage ausnutzen kann, da dies strategische Risiken für die regionale Rolle Saudi-Arabiens sowie für die Interessen der USA und Israels in Westasien, am Horn von Afrika und am Roten Meer mit sich bringt.”

Ich möchte anmerken, dass man selten so aufrichtige Worte über die Behandlung von sich entwickelnden Staaten hört.

Nach Aussage des Autors hätten seine Quellen vereinfacht gesagt, dass das Duo kein tatsächliches Ende des Krieges anstrebe, sondern einen stabilen Waffenstillstand.

„MbS will Ruhe, um zu verhindern, dass Raketen und Drohnen auf seine ehrgeizigen Unterhaltungs- und Entwicklungsprojekte niedergehen, während die USA und die VAE den Jemen zersplittert halten, den Diebstahl seiner lebenswichtigen Ölressourcen fortsetzen und gleichzeitig die Ansarallah (im Nordjemen) für die Verwaltung eines Landes verantwortlich machen wollen, das unter der Belagerung weiter einknickt.“(2)

Der Autor ist der Meinung, dass vom Jemen im Süden über den Iran im Osten bis hin zu Syrien, dem Irak und der Türkei im Norden, in Westasien die Phase nach dem Arabischen Frühling begonnen habe, in der die einst verfeindeten Nachbarn versuchen, wieder zueinander zu finden. Diese Phase werde durch Waffenstillstandsabkommen bestimmt, zwischen Ländern, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt direkt oder über Stellvertreter bekämpft haben. Waffenstillstandsabkommen seien wohlgemerkt keine Friedensverträge, und dies deute darauf hin, dass das von den USA übernommene Erbe der Konfliktbewältigung fortgesetzt, aber nie wirklich beendet werde.

Angesichts des sich abzeichnenden Multipolarismus bleibe jedoch abzuwarten, ob die Bemühungen Chinas und Russlands, die Region zu stabilisieren, um weitreichende Konnektivitäts-, Wirtschafts- und Entwicklungsprojekte voranzutreiben, in der Lage sein werden, das alte Paradigma des Konfliktmanagements und der ewigen Kriege der untergehenden unipolaren Ordnung zu überwinden. Jedenfalls scheinen Meldungen die euphorisch schon von Frieden im Jemen reden noch verfrüht(4).

Es ist also auch zu früh, mag man konstatieren, von einem Sieg des Multipolarismus zu reden. Andererseits zeigt ein anderes Beispiel der jüngsten Politik, dass die US-„Diplomatie“ zunehmend mit ihrer Krisen- und teile und herrsche Politik, ebenso wie mit Sanktionen, versagt.

Die Angst vor dem Hegemon schwindet

Eines zeigt die derzeit sich überschlagende Entwicklung in mehreren Teilen der Welt: Die Angst vor den USA verringert sich. Imperien basieren historisch gesehen auf Hegemonie der Kultur, der Wirtschaft und der Waffen. Je stärker der Einfluss von Kultur und Wirtschaft zurückgehen, desto gröber wird die Hegemonie der Waffen gefordert. Das konnte man in den letzten Jahren deutlich erkennen. Aber wenn die Angst der Länder davor erodiert, steht auch der hegemoniale Anspruch insgesamt vor dem Zusammenbruch. Deshalb hat der Krieg in der Ukraine eine so große Bedeutung für den Anspruch der USA als Welthegemon, und alleine durch den Widerstand Russlands, egal wie der Krieg letztlich ausgeht, wurde die letzte Säule des Hegemons erschüttert.

Diese sich verringernde Angst vor den USA zeigt sich auch in der erneuten Ölförderkürzung ab Mai, welche acht wichtige OPEC-Länder beschlossen, und sich damit mit Russland zusammen taten. Und dies ist für die USA besonders schmerzhaft, da das Land einen Großteil seiner strategischen Ölreserven nach der letzten Produktionssenkung dafür verwandte, den Anstieg des Weltpreises für Öl zu begrenzen. Die USA, aber auch die EU muss nun wehrlos zusehen, wie der Versuch der Deckelung des Ölpreises für russisches Öl wieder einmal nach hinten losgegangen war. Und Ölpreise steigen und russische Öleinnahmen sprudeln.

Bhadrakumar stellte am 4. April dazu fest(5):

„Was hat zu dieser Entwicklung geführt? Grundsätzlich haben die westlichen Sanktionen gegen russisches Öl, wie von vielen Analysten vorausgesagt, zu Verzerrungen und Anomalien auf dem Ölmarkt geführt und das empfindliche Ökosystem von Angebot und Nachfrage durcheinander gebracht, was durch die unglaublich riskante Entscheidung der G7 auf Geheiß des US-Finanzministeriums, eine Preisobergrenze für russische Ölverkäufe ins Ausland einzuführen, noch verstärkt wurde.

Darüber hinaus erwiesen sich die provokativen Maßnahmen der Biden-Administration, regelmäßig Öl aus der strategischen Erdölreserve der USA freizugeben, um die Ölpreise im Interesse der amerikanischen Verbraucher zu steuern und den Inflationsdruck unter Kontrolle zu halten, als Affront gegen die erdölproduzierenden Länder, deren Wirtschaft in hohem Maße von den Einnahmen aus den Erdölexporten abhängt.“(5)

Mehr zu seiner Analyse im Anhang(6)

Fazit

Vergessen Sie Politikthriller. Was derzeit in der Weltpolitik abläuft ist spannender als ein Krimi und haarsträubender als ein Science-Fiction-Film. Künstliche Intelligenz, autonome Kriegsmaschinen, Labore, in denen Viren bewusst gefährlicher für den Menschen gemacht werden, politische Umwälzungen, Demonstrationen, welche die Führung von Atommächten in Bedrängnis bringen, wie in Frankreich, der Versuch, die gesellschaftliche Wahrnehmung durch immer stärkere Unterdrückung von „falschen“ Nachrichten und Meinungen in westlichen Ländern in die gewünschte Richtung zu kanalisieren, bevorstehende große Kriege. Kein Autor kann sich eine dystopischere und phantastischere Szenerie ausmalen.

Quellen und Hinweise:

 

Der Autor twittert unter @jochen_mitschka über aktuelle politische Ereignisse

(1) https://www.indianpunchline.com/erdogan-weighs-up-russia-dares-biden/

(2) https://thecradle.co/article-view/23274/syria-yemen-saudi-arabia-turkiye-truces-not-peace

(3) Wirtschaftliche Beziehungen: Mit Blick auf den syrischen Energiesektor habe Putin die Bereitschaft Russlands erklärt, in die Stromerzeugung des levantinischen Staates zu investieren. Ihm fehle derzeit 75% Produktionskapazität. Putin habe auch die Bereitschaft Moskaus erklärt, Syrien bei der Deckung seines lebenswichtigen Getreidebedarfs zu unterstützen.

Beziehungen zur Türkei: Während seines Aufenthalts in Moskau habe Assad Berichten zufolge ein Vierertreffen zwischen den stellvertretenden Außenministern Syriens, der Türkei, Russlands und des Iran abgelehnt. Der syrische Präsident hätte erneut darauf hingewiesen, hieß es, dass die Türkei syrische Gebiete besetzt hält und dass die Verhandlungen zwischen den beiden Ländern nicht von der Sicherheits- auf die politische Ebene übergehen können, wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht klar und öffentlich zusagt, seine Streitkräfte aus den besetzten Gebieten abzuziehen und die Hauptverbindungsstraßen zwischen den syrischen Provinzen zu öffnen – insbesondere die Straße von Latakia nach Aleppo, die als Autobahn M4 bekannt ist.

Moskau sei jedoch hartnäckig und erreichte Berichten zufolge eine Vereinbarung zwischen Damaskus und Ankara, die besagt, dass die Verhandlungen fortgesetzt und auf die politische Ebene verlagert werden, wobei der wichtigste Punkt auf dem Tisch der Rückzug der Türkei aus den syrischen Gebieten sei. Die Grundlage für ein mit Spannung erwartetes Gipfeltreffen zwischen Assad und Erdogan solle zu einem späteren Zeitpunkt erörtert werden.

Die Quellen des Autors sagten, dass Erdogan aus innenpolitischen Gründen Assad vor den türkischen Präsidentschaftswahlen im Mai treffen müsse, um den Wählern zu vermitteln, dass er den Krieg an den südlichen Grenzen seines Landes beenden will, dass er beabsichtige, die etwa drei Millionen syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückzuschicken – ein heißes Thema für die Wähler – und um den türkischen alevitischen Wählern zu versichern, dass er ihrer Sekte, der sein Rivale Kemal Kilicdaroglu angehört, nicht feindlich gegenüberstehe.

Beziehungen zu Saudi-Arabien: Putin, der die Vermittlungsbemühungen zur Normalisierung der saudi-arabischen Beziehungen leitet, unterrichtete Assad über die Ergebnisse seiner Gespräche mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS). Offiziellen Quellen in Damaskus und Moskau zufolge hat Putins Initiative Fortschritte bei der Reaktivierung der kritischen Kommunikation zwischen Damaskus und Riad gemacht.(2)

(4) https://twitter.com/Spriter99880/status/1644330954327044098

(5) https://www.indianpunchline.com/opec-saudis-arent-afraid-of-us-anymore/

(6) Die OPEC+ bezeichnet die Produktionskürzungen als “eine Vorsichtsmaßnahme zur Unterstützung der Stabilität des Ölmarktes“. Im Anschluss an die Entscheidung der OPEC+ erwarten Analysten, dass die Ölpreise kurzfristig steigen und der Druck auf die westlichen Zentralbanken aufgrund eines möglichen Inflationsanstiegs zunehmen wird.

Das Besondere an der OPEC+-Entscheidung ist, dass die Entscheidung Russlands, die Ölproduktion bis Ende des Jahres zu reduzieren, von den wichtigsten arabischen Produzenten einhellig unterstützt wurde. Unabhängige, aber zeitlich aufeinander abgestimmte Erklärungen wurden von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, Irak, Algerien, Oman und Kasachstan abgegeben, während Russland seine Absicht bestätigte, seine eigene, im März begonnene Produktionskürzung um 500 000 Barrel pro Tag bis zum Jahresende zu verlängern.

Es ist bezeichnend, dass diese Erklärungen ausgerechnet von den größten Ölproduzenten der OPEC abgegeben wurden, die ihre bestehenden Quoten voll ausgeschöpft haben. Anders ausgedrückt, die Produktionskürzung wird real sein und nicht nur auf dem Papier stehen.

Zumindest teilweise hat die Bankenkrise in den USA und Europa die OPEC+ zum Eingreifen veranlasst. Auch wenn Washington dies herunterspielt, fielen die Brent-Ölpreise im März zum ersten Mal seit 2021 auf 70 US-Dollar pro Barrel, als mehrere Banken in den USA Konkurs anmeldeten und die Credit Suisse, eine der größten Schweizer Banken, fast in den Ruin getrieben wurde. Diese Ereignisse schürten die Sorge um die Stabilität des westlichen Bankensystems und die Angst vor einer Rezession, die sich auf die Ölnachfrage auswirken würde.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Spannungen zwischen den USA und Saudi-Arabien zunehmen werden, da höhere Ölpreise die Inflation anheizen und es für die US-Notenbank noch schwieriger machen werden, ein Gleichgewicht zwischen der Anhebung des Leitzinses und der Wahrung der finanziellen und wirtschaftlichen Stabilität zu finden. Ebenso muss die Regierung Biden wütend darüber sein, dass die praktische Zusammenarbeit zwischen Russland und den OPEC-Ländern, insbesondere Saudi-Arabien, trotz der vom Westen auferlegten Preisobergrenze für russisches Öl und der Entscheidung Moskaus, die Produktion im März einseitig zu drosseln, fortgesetzt wird.

Die Regierung Biden hat jedoch nur eine begrenzte Auswahl an Optionen, um auf den überraschenden Schritt der OPEC+ zu reagieren: erstens eine weitere Freigabe von Öl aus der strategischen Erdölreserve; zweitens Druck auf die US-Produzenten, die heimische Ölproduktion zu erhöhen; drittens die Unterstützung von Gesetzen, die es den USA erlauben würden, den dramatischen Schritt zu wagen, die OPEC-Länder zu verklagen; oder viertens die Drosselung der US-amerikanischen Benzin- und Dieselausfuhren.

Die Produktionskürzung der OPEC+ widerspricht zwar der westlichen Forderung nach einer Erhöhung der Ölproduktion, obwohl Sanktionen gegen russische Öl- und Gasexporte verhängt wurden. Andererseits trug die Unterbrechung der Öllieferungen aus Russland zur steigenden Inflation in den EU-Ländern bei.

Die USA forderten die arabischen Golfstaaten auf, die Ölproduktion zu erhöhen. Diese weigerten sich jedoch, weil sie der Meinung waren, dass die Wirtschaftstätigkeit im Westen nicht ausreichend war und es wider Erwarten deutliche Anzeichen einer Rezession gab.

Als Folge der Sanktionen gegen Russland sieht sich Europa mit der komplexen Situation von Inflation und Beinahe-Rezession konfrontiert, die als Stagflation bezeichnet wird.  In Wirklichkeit hat die anpassungsfähige und agile OPEC + die Situation richtig eingeschätzt und gezeigt, dass sie bereit ist, vor der Zeit zu handeln. In einer Zeit, in der die Weltwirtschaft um ein gesundes Wachstum kämpft, ist die Nachfrage nach Öl relativ gering, und es ist sinnvoll, die Ölproduktion zu drosseln, um das Preisgleichgewicht zu erhalten.

Das Einzige, worüber sich die westlichen Staats- und Regierungschefs beschweren können, ist, dass die Kürzung der Ölproduktion durch die OPEC+ zu einem ungünstigen Zeitpunkt erfolgt. Aber die Probleme der westlichen Volkswirtschaften können nicht der OPEC+ angelastet werden, da es inhärente Probleme gibt, die jetzt an die Oberfläche kommen. So zeigen beispielsweise die groß angelegten Proteste in Frankreich gegen die Rentenreform oder die weit verbreiteten Streiks in Großbritannien für höhere Löhne, dass es in diesen Volkswirtschaften tief greifende strukturelle Probleme gibt, die die Regierungen offenbar nicht in den Griff bekommen.

Geopolitisch gesehen erfolgte der Schritt der OPEC+ nach einem Treffen zwischen dem stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Alexander Novak und dem saudischen Energieminister Prinz Abdulaziz bin Salman am 16. März in Riad, bei dem es um die Zusammenarbeit auf dem Ölmarkt ging. Er wird daher weithin als eine Verschärfung der Beziehungen zwischen Russland und Saudi-Arabien angesehen. Wenn sich die größten OPEC-Mitglieder im Mai der einseitigen Förderkürzung Russlands anschließen, werden das Quotengleichgewicht und das Verhältnis der Marktanteile zwischen den Teilnehmern der OPEC+-Vereinbarung wieder auf den Stand vom Abschluss der Vereinbarung also vor April 2020 zurückkehren.

Die große Frage ist, wie Moskau von der OPEC+-Entscheidung profitieren könnte. Der Anstieg der Rohölpreise kommt vor allem Russland zugute. Einfach ausgedrückt, werden die Produktionskürzungen den Ölmarkt verengen und damit Russland helfen, bessere Preise für das von ihm verkaufte Rohöl zu erzielen. Zweitens bestätigen die neuen Kürzungen auch, dass Russland trotz der Versuche des Westens, es zu isolieren, immer noch ein integraler und wichtiger Bestandteil der Gruppe der Erdöl produzierenden Länder ist.

Drittens sind die Folgen der Entscheidung vom Sonntag umso größer, als im Gegensatz zu den früheren Kürzungen der OPEC+-Gruppe auf dem Höhepunkt der Pandemie oder im vergangenen Oktober die weltweite Ölnachfrage heute eher steigt als sinkt, zumal eine kräftige Erholung in China erwartet wird.

Die überraschende Kürzung der OPEC+ festigt also die saudisch-russische Energieallianz, indem sie ihre Fördermengen aneinander angleicht und sie damit auf eine Stufe stellt. Für Washington ist dies ein Schlag ins Gesicht.

Machen Sie keinen Fehler, dies ist ein weiteres Signal für eine neue Ära, in der die Saudis keine Angst mehr vor den USA haben, da das OPEC-Druckmittel auf Riads Seite ist. Die Saudis tun nur noch das, was sie tun müssen, und das Weiße Haus hat in dieser Angelegenheit nichts zu sagen. Es ist offensichtlich, dass die in letzter Zeit in Gang gesetzte Umgestaltung der regionalen und globalen Dynamik an Dynamik gewinnt. Die Zukunft des Petrodollars scheint zunehmend ungewiss.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: quetions123 / shutterstock

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Kommentare (6)

6 Kommentare zu: “Wie wird die Gruppe der „Blockfreien“ aussehen? | Von Jochen Mitschka

  1. _Box sagt:

    Wie der PKK-Chef vom Terroristen zum Gesellschaftstheoretiker wurde
    Von Michael MeyenPublished On: 6. Januar 2022

    Keine Utopie, nirgends: Auf diese Formel lässt sich das Klagelied verdichten, das die Linke seit dem Untergang des sowjetischen Reiches singt. Wie sollen wir, so heißt es im Refrain, die Menschen begeistern, wenn wir nicht erzählen können, was nach der Revolution kommt? Wenn wir nicht einmal wissen, ob wir überhaupt noch Revolution sagen dürfen?

    Keine Utopie, nirgends: So ganz stimmt dieses Lied nicht. Auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali ist in den letzten beiden Jahrzehnten eine Gesellschaftstheorie gewachsen, die das Zeug hat, zu einer großen Erzählung zu werden – zu einer Geschichte, die aus den Bücherregalen erst in die Köpfe geht und dann die Wirklichkeit verändert. Der Haken: Autor Abdullah Öcalan gilt nach wie vor als Terrorrist. Die PKK, seine politische Basis, ist in Deutschland seit 1993 verboten. Und der Versuch, Öcalans Ideen im Norden Syriens mit Leben zu füllen, wird in Europa durch die Brille der Türkei gesehen, die jede Form der kurdischen Selbstbestimmung als Anfang ihres eigenen Endes begreift und deshalb mit allen Mitteln bekämpft.

    https://free21.org/wie-der-pkk-chef-vom-terroristen-zum-gesellschaftstheoretiker-wurde/

  2. Danke, für diese bd. Blickwinkel.
    Persönlich würde ich mich gar nicht wundern, wenn die Türkei (mittelfristig) sogar die NATO verlassen und sich statt dessen den BRICS+ anschließen wird. Auch wenn das eine ein sog. Verteidigungsbündnis (Angriffsbündnis) und das andere ein Wirtschaftsbündnis ist. Beides zusammen jedoch wird wohl nicht gehen, für die Türkei.

  3. paul1 sagt:

    Diese Sicht aus nichteuropäischem Blickwinkel finde ich vom Autor Mitschka
    sehr erhellend.

  4. Nevyn sagt:

    Es bröckelt gewaltig beim Imperium.
    https://finanzmarktwelt.de/brasilien-brices-waehrung-soll-us-dollar-abloesen-267425/ schreibt:
    Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva ruft aktuell die BRICS-Staaten auf, eine Alternative zum US-Dollar im Außenhandel zu entwickeln, und unterstützt damit Chinas Kampf gegen die globale Dominanz der USA, während er sich auf ein Treffen mit Präsident Xi Jinping in Peking vorbereitet, so Bloomberg aktuell. Lula äußerte sich heute bei einem Besuch der in Shanghai ansässigen Neuen Entwicklungsbank, einer Institution, die von den BRICS-Ländern gegründet wurde, zu denen neben Brasilien und China auch Russland, Indien und Südafrika gehören. Die ehemalige brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff ist die neue Chefin der Bank.

    „Warum kann eine Institution wie die BRICS-Bank nicht eine Währung haben, die die Handelsbeziehungen zwischen Brasilien und China, zwischen Brasilien und allen anderen BRICS-Ländern finanziert? „Wer hat entschieden, dass der US-Dollar die (Handels-)Währung nach dem Ende der Goldparität ist?“

  5. Andreas I. sagt:

    Hallo,
    "Offensichtlich habe die Türkei die aufziehenden Stürme am Horizont gesehen und verstanden, dass der Niedergang des Westens eine geopolitische Realität ist und die Türkei sich im Voraus positionieren sollte, anstatt von den Ereignissen überholt zu werden."

    Und die Mehrheit der Deutsche hatte bei der letzten Bundestagswahl 2021 nicht nur die C-Diktatur, sondern auch den transatlantischen Kurs wiedergewählt. Um in einen Sturm hineinzusegeln sollte man aber ein seegängiges Schiff haben und keine jahrzehntelang nicht gewarttee Schüssel, wo der Rumpf gerade noch irgendwie vom Lack zusammengehalten wird.

    • Kostas sagt:

      Politik hat auch viel mit viraussehen zu tun.. Die, die es können, werden besser durch den Sturm kommen. Deutschland sitzt wie immer auf der falschen Seite.

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