Wenn Reden Silber ist, und Schweigen Gold, stehen wir am Beginn eines goldenen Zeitalters! Ein Grund zur Freude? Für einige Menschen sicher, für andere auf gar keinen Fall.
Ein Kommentar von Christiane Borowy.
Vielleicht haben Sie es schon mitbekommen: Wir erleben gerade das erfolgreiche Comeback eines politischen und gesellschaftlichen Trends, der nicht nur die große Masse an Menschen bereits in seinen Bann gezogen hat, sondern dem sich auch kritische Journalisten, Künstler und überhaupt Andersdenkende bald nicht mehr entziehen können. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ hat einst Goethe gesagt. Das letzte Mal allerdings, als beispielsweise der Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser an Goethe erinnert hat, wurde ihm öffentlich gesagt, dass er das besser nicht gemacht hätte, weil er damit seine -angeblich- rechte Gesinnung nur noch unterstreichen würde (1). Es zeichnet sich also ab, dass es sogar Gold ist, über Goethe zu schweigen.
Reden ist inzwischen auch nicht einmal mehr sprichwörtlich Silber. Am wertvollsten ist es, wenn man überhaupt nicht redet. Denn wer gerne darüber redet, was er oder sie in einer Gesellschaft verbesserungswürdig findet, kann diesen Trend des großen Schweigens wieder kommen sehen. Von einer kleinen aber sehr mächtigen Anzahl an Menschen -der größte Teil der Bevölkerung setzt diese bei jeder Wahl wieder an die Spitze der Gesellschaft, oder bewundert sie als Superstar, Sportgröße, als Experte oder zu den oberen Zehntausend gehörend- ist dieser Trend ausgegangen und zieht immer größere Kreise. Dieser Mega-Trend heißt: Schweigen.
Wer diesem Trend nicht folgt, nicht folgen will oder einfach nicht schweigen kann, dem wird dann auf unterschiedlichen Wegen zu seinem Schweigeglück verholfen, zum Beispiel durch Drohungen, Mundtotmachen, das Anordnen willkürlicher Richtlinien, die Einweisung in eine psychiatrische Klinik oder ins Gefängnis. Da bekommt man dann die Gelegenheit die Wahrnehmung zu trainieren, was so mit einem passiert, während man schweigt.
Julian Assange ist einer der prominentesten Vertreter von Andersdenkenden und -sprechenden, an dem man aktuell die negativen Wirkungen der Nichteinhaltung dieses Trends öffentlich zur Schau stellt. Doch inzwischen kommt diese Mode, die historisch betrachtet gar nicht so neu ist wie man glauben mag, sogar bei denen an, die nicht so weit vorne stehen in der Reihe der kritischen Stimmen. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass es sogar bei meinen Artikeln mehrfach vorgekommen ist, dass man mir zeigen wollte – mal mehr, mal weniger nachdrücklich und öffentlich sichtbar – wie sehr mein Schweigen doch besser für mich und andere wäre. Ich schreibe noch gar nicht so lange für Kenfm und wurde trotzdem schon mehrfach per Leserbrief unter Druck gesetzt, in Kommentaren beschimpft und abgewertet und zwei meiner Artikel sind unter Umständen depubliziert worden, über die ich -natürlich- am besten nicht sprechen sollte.
Es geht mir mit diesem Hinweis nicht um mich. Ich will nur sagen: Wenn sogar schon jemand vergleichsweise Unbekanntes wie ich zum Schweigen gebracht werden soll und wird, dann steht die Frage im Raum, ob sich der Trend des goldenen Schweigens nicht schon viel weiter ausgebreitet hat als bisher angenommen, und ob bald alle Menschen davon erfasst werden.
Wenn ich schon zum Schweigen verdammt bin und mich nicht mehr auskenne, über was ich überhaupt noch reden darf und das ungefährliche Thema Tomatenzucht mich persönlich langweilt, könnte es ja vielleicht hilfreich sein, wenn ich in diesem Artikel mal ganz allgemein darüber rede, welchen Nutzen für welche Menschen massenhaftes Schweigen bringen könnte. Um wenigstens dies unbehelligt tun zu können, wäre es wahrscheinlich besser, wenn ich dazu nur öffentlich anerkannte Quellen nenne, also Psiram, Wikipedia, und die hiesige Mainstreampresse.
Außerdem müsste ich diese Quellen wohl nur im Original zitieren und auch möglichst nicht selbstständig Denken beim Schreiben. Dann sollte mein Glück und das der Leser doch perfekt und der Artikel trendy sein, oder?
Halt, Stopp! Das geht ja auch nicht- dann würde der Artikel zu lang. Zu lange Texte gehen nicht. Das wäre auch kein goldener Weg.
Bevor ich also hier schließe, habe ich allerdings eine Frage an Sie als Leser: Schweigen Sie noch oder leben Sie schon? Wenn diese Frage für Sie interessant ist, können Sie Gleichgesinnte bei einer Demonstration in Berlin am Samstag, den 10.10.2020 treffen (https://www.der-schweigemarsch.de/) – keine Sorge, es ist ein Schweigemarsch. Es könnte allerdings trotzdem laut werden, denn Schweigen kann laut sein. Schon der griechische Philosoph Plutarch wusste (3):
„Zur rechten Zeit zu schweigen, ist ein Zeichen von Weisheit und oft besser als jede Rede“
Das bedeutet jedoch auch, dass Schweigen niemals zu einem kalten Schweigen werden darf, denn ein kaltes Schweigen führt tendenziell dazu, dass unser Mitgefühl verkümmert – und wenn unser Mitgefühl verkümmert, dann verkümmert nicht nur unsere Kommunikation, sondern dann verkümmern auch wir selbst als menschliches Wesen.
Wollen wir das wirklich zulassen?
Quellen:
- https://www.rubikon.news/artikel/frieden-wird-gemacht
- https://www.der-schweigemarsch.de/
- https://www.aphorismen.de/zitat/2932
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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Jacob Lund / shutterstock
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