Von Dirk C. Fleck.
In Hamburg treffe ich den Bionikforscher Lars Liebchen, der sich schon seit längerem mit der Gewinnung von Windenergie beschäftigt und dabei zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen ist, welche die Windparks, derer wir uns heute bedienen, wie fossile Spargelfelder aussehen lassen. Der Mann schaut mich an, als sei er nicht gewillt, einem intelligenten Menschen ein simples Naturgesetz zweimal zu erklären. Er greift sich ein Buch und stellt es hochkant auf den Tisch. „Das hier,“ sagt er, „ist die Front eines Waldes. Von da hinten nähert sich ein schwerer Sturm. Er trifft mit Wucht auf diese Bäume. Was passiert?“ – „Naja,“ antworte ich, „sie knicken um.“ – „Eben nicht. Die dichte Waldfront wird zur Tragfläche und produziert eine doppelt beschleunigte Strömung, in der achtmal soviel Energie wirkt. Sie verwirbelt und entwurzelt weiter hinten alles, was sie in den Griff kriegt. Dieses Strömungsprinzip habe ich mir zunutze gemacht. Optimal angewandt könnte es einen Großteil unserer Energieprobleme lösen.“
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Da tanzt die globale, von Öl, Kohle, Gas und Atomkraft abhängige Konsumgesellschaft ratlos am Abgrund und dieser Mann behauptet allen Ernstes, dass er die Lösung hat für die immer offenbarer werdenden Probleme, die sich aus unserer fatalen Abhängigkeit von eben diesen Energiequellen ergeben. Aber irgendetwas in seiner Stimme verbietet mir, ihn als Spinner abzutun. Es ist der Anflug von Resignation, der mich aufhorchen lässt. So spricht keiner, der Anerkennung für sich reklamieren möchte, so spricht einer, der unter einem System leidet, das von kapitaler Gier getrieben wird und jeden Irrweg konsequent zu Ende geht. “Wir halten uns für intelligenter als die Natur, das ist das Problem … Die Natur zeigt uns doch, wie es funktioniert,“ sagt er, „man guckt sich das einfach ab und versucht es auf intelligente Weise nachzubauen. Das ist das, was wir Bionikforscher machen. Aber man traut uns nicht, weil die Menschen der Natur nicht trauen. Und damit hätten wir ein Riesenproblem am Hals. Ein Problem übrigens, das außer uns keine andere Spezies hat.“
Lars Liebchen hat sich in den letzten Jahren einen beachtlichen Namen gemacht. Er treibt seine Vision von sich selbst „ernährenden“ Gebäuden mit Fleiß und Disziplin übers Internet an die Öffentlichkeit. Die gigantischen Häuser, die Liebchen in die virtuelle Wüste setzt, wirken auf den Betrachter wie Dependancen einer fernen Galaxie. Dabei nehmen sie doch nur die Form eines Seesterns auf, die diesem Wesen von der Evolution in Jahrmillionen zugewiesen wurde, um sich gegen die gewaltigen Strömungskräfte in den Ozeanen behaupten zu können. „Das geniale an der Natur ist, dass sie mit der Zeit Nachteile in Vorteile verwandelt,“ sagt Liebchen, dessen gigantisch große Bauwerke in Ballungsgebieten allerdings nicht möglich sind. Kein Platz. Also hat er die Küstenbereiche und Wüsten als zukünftigen Lebensraum der Menschen auserkoren. „In der Wüste hast du Sand. Wenn du Sand hast, hast du Glas, hast du Baumaterial. Man kann aus Sand alles Mögliche machen. Wenn man Sand verdichtet, wird er extrem hart und stabil.“
Von den Seesternen lernen heißt siegen lernen. Lars Liebchens „Seesterne“ besitzen fantastische Eigenschaften. Sie fangen zwischen ihren Armen den Wind auf, der sich auf dem Weg nach oben beschleunigt und an der Spitze von einem Windlaser in Energie umgewandelt wird. Durch die Strömungsbeschleunigung wird die Luftfeuchtigkeit zur Kondensation gebracht. „Jedes Gebirge funktioniert nach diesem Prinzip,“ sagt Liebchen. „Auf diese Weise bildet sich Süßwasser, das Süßwasser entsteht praktisch nach dem Windlaserprinzip.“ Die derart eingefangene Energie lässt sich auch problemlos in Wärme und Kälte umwandeln, ebenso einfach lässt sich aus ihr elektrische Energie generieren. Und als ob dies noch nicht genug wäre, legt sich jeder „Seestern“ seinen eigenen Garten an, in dem er einen Teil des gewonnen Wassers zur Bepflanzung der Umgebung freigibt.
Haben Sie eine Ahnung bekommen, was diesen Bioniker umtreibt? Nein? Dann denken Sie mal darüber nach, was uns die Politik an Lösungsvorschlägen anzubieten hat. Neue Kohlekraftwerke zum Beispiel und die Wiederbelebung der Atomkraft. Lars Liebchen schüttelt den Kopf: „Die Politiker reagieren auf die Vorschläge von uns Bionikforschern nach dem Motto: Nun verdirbt uns mal nicht die Laune. Der Druck auf die Politik muss von der Öffentlichkeit kommen. Das ist ja nicht mein Projekt, das ist euer Projekt, es ist ja eure Zukunft …“
Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.
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